(Der Eyecatcher zeigt einen Auszug aus einem nicht abgeschickten Brief eines in Vogelsang stationierten russischen Soldaten, der zusammen mit zahlreichen anderen Briefen beim Abzug der Truppen 1994 auf dem Gelände der Garnison zurückgeblieben ist.)

Leserbrief

von Christian Wonitzki

 

 

Sehr geehrter Herr Lentz,

 

mit Interesse und einigem "Dejavu"-Gefühl habe ich Ihre Publikation gelesen und mich gefreut, dass es zu diesem Thema etwas Neues gibt - mit regionalem uckermärkischem Bezug. "Dejavu" deshalb, weil diese Problematik mir und meiner Familie seit den 1980er Jahren durch eigenes Kennenlernen und Erleben in sehr lebendiger Erinnerung ist. Wir haben in diesen Jahren (und später) mehrmals privat Urlaub in Beutel, einem Dorf bei Templin, gemacht und dort eben "die Russen" hautnah erlebt. Am Ende des Dorfes stand ein Sperrschild, das Weiterfahren verbot, ein weiteres Schild "Hier wird geschossen" bot die Begründung dafür. Ab und an sind wir bei unseren Streifzügen tatsächlich auch "unter die Russen" geraten, es gab nie irgendwelche Probleme. Die Äpfel in den Vorgärten wurden geklaut, in den Konsum eingebrochen, bei Dunkelheit boten die Russen auch Kanister mit Farbe, Sprit u. A. bei den Einwohnern an. Vielleicht waren es sogar Lieferungen auf Bestellung. Persönliche Kontakte ergaben sich nie. Dagegen fanden wir auch die von Ihnen geschilderten Belege für üble Wilderei - Bowdenzugschlingen an Wildwechseln und auch verendetes Wild.

 

Nach der Wende wurde der dortige Schießplatz aufgelöst. Wegen Munitionsgefahren (es hieß, jeder Kommandant hatte in eine andere Richtung schießen lassen) durfte man nicht bzw. nur auf zugelassenen Wegen in das Gelände. Insbesondere die Naturentwicklung fand ich (bis heute) ungeheuer spannend. Die malträtierte Landschaft bot und entwickelte eine breite Palette hochinteressanter Lebensräume. Wo findet bzw. fand man in Deutschland noch Wanderdünen oder Wasserlandschaften, vom Biber geschaffen? Deshalb wurde das Gebiet etwa 1994  als NSG "Kleine Schorfheide" unter Schutz gestellt. Die Anwohner sahen diesen neuen Status jahrelang kritisch, inzwischen hat man entdeckt, dass sich mit großartiger Natur auch punkten lässt. Das bestens besuchte Heideblütenfest ist ein Beweis dafür.

 

Das von Ihnen beschriebene Areal um den Flugplatz Groß Dölln kenne ich nur wenig. Immerhin hatte ich aber die Gelegenheit zu einem Rundflug über den Flugplatz und die umgebenden Landschaften, ein eindrucksvolles Erlebnis.

 

Sie merken sicher, hier schreibt Ihnen einer, den das Thema "infiziert" hat, schon über viele Jahre. Diverse Publikationen dazu habe ich inzwischen in meiner Sammlung. Dabei vor allem Erlebnisberichte aus Thüringen (herausgegeben von der   Landeszentrale für politische Bildung Thüringen), wo die "Freunde" ja auch unübersehbar präsent waren. 

 

Die "Russen" und ihr Handeln werden die betroffenen Gemeinden wohl noch sehr lange beschäftigen. Denken wir bloß an die Fast-Unmöglichkeit der verlässlichen Beseitigung von Munition. Und es geht um die Frage, wie man diese „gestörten“ Landschaften entwickelt oder sich entwickeln lässt. Denn diese Prozesse dauern an, bis weit nach dem Zeitpunkt, wenn es keine Augenzeugen mehr geben wird.

 

Mit freundlichen Grüßen, Christian Wonitzki aus Greiz im Vogtland. Februar 2021