Der Sturm vom 1. August 1877

Am 1. August 1877 zog ein Sturm über unsere Region hinweg, der schwerste Schäden anrichtete. Die Kurtschläger Dorfchronik zitiert dazu einen Bericht des damaligen Lehrers Dünkler: "Im Jahr 1877, dem 1. August, kam von Westen ein starker Orkan, der in der Umgebung alles verheerte, nicht bloß Feld- und Gartenfrüchte, auch Bäume, Dächer und dergleichen wurden total beschädigt. Bauer Carl Seefeld seine Scheune mit dem darin befindlichen Wintergetreide wurde gänzlich zusammengedrückt vom Sturme. Es kamen aus allen Gegenden viele Tausend Thaler an das Comitee zur Verteilung, aber außer Seefeld hat keiner von den Einwohnern etwas bekommen, sondern alle leer ausgegangen.

Dieses Unwetter wütete in einem Gebiet, das von Gransee bis nach Eberswalde reichte, aber unsere Gegend war davon am schlimmsten betroffen. Die Stadt Zehdenick glich danach einem Trümmerhaufen. Was der Orkan nicht vernichtete, das fiel dem in großen Stücken niederstürzenden Hagel und einem wolkenbruchartigen Regen zum Opfer. Überall waren Menschenleben zu beklagen. 13 Mühlen und 23 Scheunen wurden total zerstört. Sämtliche Wohnhäuser der Gegend wiesen große Schäden auf. So ist es verständlich, daß das gespendete Geld nicht für alle reichte, und eine gerechte Verteilung für das Hilfscomitee sehr schwierig war."

 

Eine eindrucksvolle Schilderung, die durch Berichte im "Zehdenicker Anzeiger" aus dieser Zeit gestützt wird. Ulrich Drewin zitiert in seinem Buch "Zehdenick & Umgebung 1877-2020" aus diesen Berichten. Überdies ist es ihm gelungen, originale Fotografien von dem Ereignis aufzutreiben, die das Ausmaß der damaligen Schäden zeigen. Sie sind ein einzigartiges Zeugnis des Geschehens, zugleich aber auch erstaunlich hochwertige Bilddokumente aus einer Zeit, als das Fotografieren noch in den Anfängen steckte. 

Die folgenden Textauszüge entstammen dem "Zehdenicker Anzeiger" vom August 1877: "Die Stadt Zehdenick und Umgegend ist verwüstet und gleicht einem Schutthaufen. Von fast allen Häusern sind die Dächer abgedeckt. Kinder beweinen den erschlagenen Vater oder die Mutter sowie die Geschwister, die von den einstürzenden Häusern begraben wurden. ... Das Unglück lässt sich kaum übersehen, die meisten Familien sind obdachlos geworden. ... Die Dörfer der Zehdenicker Umgegend, über die der Orkan seinen Weg nahm, sind fast zerstört ... Sämtliche Windmühlen Zehdenicks und Umgebung sind umgeworfen und zerstört worden. ... Von den städtischen Scheunen vor dem Berliner Tor sind 20 total zerstört. ... Am Hospital der Stadt war der Sturm in die offenen Fenster hineingefahren und hatte die ganze massive Giebelwand herausgedrückt. ... In Zehdenick wurde die dicke eiserne Stange auf dem Kirchturm unter dem Knopfe umgebogen bis auf einen Winkel von 45 Grad. ... In einem Aufruf in allen deutschen Blättern wurde um dringende Hilfeleistung gebeten. Betroffen vom Sturm wurden namentlich Stadt und Amt Zehdenick, Badingen, Klein-Mutz, Damm-Hast, Kamp, Amtsfreiheit (heutige Parkstraße), Wesendorf, Krewelin, Kappe, Kurtschlag und Dölln. ... Die Wirkung des Sturms war so rapide und plötzlich, dass unter den umgeworfenen Gebäuden und Mühlen einige zwanzig Menschen verschüttet wurden, von denen sechs tot und acht noch in ärztlicher Behandlung sind. ... 13 Mühlen und 23 Scheunen wurden total zerstört und sämtliche Wohnhäuser, Kirchen und Schulhäuser der getroffenen Ortschaften mehr oder weniger beschädigt. Ferner ist ein großer Teil der Feldfrüchte vernichtet, ohne daß den Betroffenen ein Anspruch auf Entschädigung zustände. Der verursachte Schaden beläuft sich auf 

Hunderttausende Mark. Ein Komitee richtete die dringende Bitte an alle deutschen Mitbürger, den so viel bewährten Wohltätigkeitssinn auch in diesem so schweren Unglück walten zu lassen. ... Zur Empfangsnahme von milden Geldbeträgen sind bereit:

Landrat v. Arnim/Templin und Forstkassenrendant Braun/Zehdenick sowie die Kreis-Kommunalkasse zu Templin.

Der Aufruf verhallte nicht ungehört ... aus allen deutschen Gauen flossen die Gaben reichlich herbei, ein Zeichen dafür, daß das entsetzliche Unglück tiefes Mitgefühl für die Betroffenen ausgelöst hatte. Da damals so viele Scheiben zu Bruch gingen, kamen sogar Berliner Glaser zu Hilfe nach Zehdenick. ... Der Kaufmann Wh. Neitsch hatte durch dieses Unglück so viel zu tun, daß er hinterher den Namen "Kitt-Neitsch" von den Zehdenickern bekam. ... Wie hier, so hatte dieses Unwetter auch in der Umgegend gewütet, etwa in der Länge von drei, in der Breite von eineinhalb Meilen, von Gransee bis Dölln und Groß Schönebeck, von Bergsdorf bis Hammelspring. In Löwenberg haben einige unserer Viehhändler vor dem Gasthause beim Glase Bier gesessen, haben wohl ein sonderbares Sausen, ihnen unerklärlich, gehört, aber ahnten nicht, daß sie hier diese Zerstörung finden müssen.

Der Gesamtschaden belief sich in der Stadt Zehdenick auf 102.378 Mark, in Damm-Hast auf 61.600 Mark, in Amt Zehdenick auf 36.360 Mark, in Amtsfreiheit auf 7.861 Mark und in Camp auf 3.883 Mark."

Die Kirche mit der vom Sturm

verbogenen Spitze mit Wetterfahne.



Der Sturm war so heftig, dass ein herumfliegender Dachschiefer die Fassade eines Hauses traf und unterhalb der Dachrinne steckenblieb. Auf dem linken Bild ist er am vierten Haus auf der rechten Straßenseite zu erkennen. Inzwischen wurde der Dachschiefer entfernt, eine Spur von ihm ist aber noch immer an der Fassade des Hauses zu erkennen. Darunter weist der Schriftzug "1.8.1877" auf das Ereignis hin. Es handelt sich um das Haus Berliner  Straße 49, in dem sich heute das Tabak- und Lottogeschäft Gribnitz befindet.