Noch in 1000 Jahren ...

von Manfred Lentz

Das Museum

... wird der Name Kurtschlag in Erinnerung sein. Auch die Webseite kurtschlag.de wird man dann noch kennen. Und ebenso die Namen von sechs Kurtschlägern, die im Jahr 2019 anlässlich des 30. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer aufgeschrieben haben, wie sie diesen Tag erlebt haben. Und wo wird das alles in Erinnnerung bleiben? Im Schloss Oranienburg, in dem Flügel, der das ReMO beherbergt, das "Regionalmuseum Oberhavel", das nach dreijähriger Schließung am Freitag, den 13. August mit viel Politpromi-Präsenz seine Pforten wieder geöffnet hat. Ausgerechnet an einem Freitag, dem 13., und dann auch noch zum 60. Jubiläum des Mauerbaus, einem der düstersten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Entsprechend skeptisch waren wir, als wir der Einladung zur Eröffnung gefolgt sind. Wir - das waren die beiden Macher von kurtschlag.de, also Christina und ich, außerdem war Karin dabei. Ganz und gar nicht mehr skeptisch waren wir  

Unsere Beiträge

zum 9. November 1989


allerdings, als wir zurückgefahren sind, stattdessen höchst "enthusiasmiert", wie die Kurfürstin Luise Henriette es ausgedrückt hätte, die Gemahlin des Großen Kurfürsten, für die das Schloss im 17. Jahrhundert errichtet wurde. Denn die neue Dauerausstellung unter der Überschrift "Geschichte(n) entlang der Havel" ist einfach Spitze! Und dabei waren noch nicht einmal ein halbes Dutzend Leute für das Projekt verantwortlich, aber diese wenigen haben etwas hinbekommen, was Bewunderung verdient. Und das gilt sowohl für diejenigen, die die Ausstellung konzipiert haben, als auch für den, der - man staunt, aber es war 

 

tatsächlich nur ein einziger - ihr Konzept technisch umgesetzt hat: das Konzept einer Wanderung durch die Geschichte des Landkreises Oberhavel von der Eiszeit bis heute. Oder nein ... halt ... das ist falsch, die Richtung stimmt nicht, denn sie haben es genau umgekehrt gemacht: von heute bis zur Eiszeit. Was eine ungewöhnliche Art der Präsentation ist, die so gar nicht der üblichen Museumstradition entspricht, die aber einen guten Grund hat. Einen, den letztlich jeder von uns kennt, der schon einmal ein Museum besucht hat, das sich mit einem geschichtlichen Thema beschäftigt: 

Man beginnt seinen Besuch bei den 


Neandertalern und ihren Faustkeilen sowie den Rentierjägern mit den rasiermesserscharfen Feuersteinschabern aus der Zeit, als der kilometerdicke Eiszeitpanzer über Oberhavel gerade erst geschmolzen war, gelangt ins Neolithikum, als die Menschen sesshaft wurden, verspürt kurz nach Christi Geburt ein Hungergefühl und Durst, reißt sich zwar zusammen, weil man ja ein kopfgesteuerter Homo sapiens sapiens ist und nicht das ständig mit Nahrungssuche beschäftigte Wesen aus den Anfängen der Menschwerdung des Affen, hält sogar noch durch bis zu einem der ersten Heinrichs, Ottos oder Friedrichs des Mittelalters, um sich am Beginn der Neuzeit, also gerade da, wo es anfängt, richtig spannend zu werden, auf den nächsten Stuhl fallen zu lassen (sofern es einen gibt), völlig erschöpft und überdies frustriert, weil man "nicht alles geschafft" hat, aber natürlich fest entschlossen wiederzukommen, 

Mausfried von der Havel, das Museums-Maskottchen


um den Rest der Ausstellung auch noch kennenzulernen. Aber Hand aufs Herz, liebe Leser dieser Zeilen: Wie oft habt Ihr das schon gemacht und seid tatsächlich wiedergekommen? Ich fast nie, mit der Konsequenz, dass meine Eindrücke von der Neuzeit in vielen Museen eher bruchstückhaft ausgefallen sind. Weil die Macher des ReMO diesen Effekt natürlich kennen, haben sie trickreich die Ausstellung einfach umgedreht: Man fängt in der Jetztzeit an und erfährt dort etwas über uns heutige "Oberhaveler", geht dann zurück erst in die rote, dann in die braune Diktatur, zu den beiden Weltkriegen, gelangt - soweit man noch aufnahmefähig ist - zu Luise Henriette, um erst im Verlauf des Mittelalters - die Schwächeren unter uns - oder sogar erst zur Eiszeit hin - die Stärkeren - abzuschlaffen. Was natürlich immer noch schade ist, denn auch die letzten Räume haben noch viel zu bieten. Aber dafür hat man wenigstens eine Menge über jene Zeiten erfahren, die uns am nächsten sind und deshalb für viele vielleicht am spannendsten. Und selbstverständlich kann oder könnte man auch hier jederzeit seinen Besuch wiederholen.

Auf dem 3. Bild von links sind die Macher der Ausstellung zu sehen.

Ein guter Trick der Museumsmacher also, aber durchaus nicht der einzige. Ein weiterer sehr gelungener hat die Jüngsten im Blick, den Nachwuchs der Museumsbesucher, der angelockt werden soll, oder wie die Jäger in unserem wald- und wildreichen Kreis es ausdrücken würden: angekirrt, damit der Besuch eines Museums eines Tages, wenn die Kleinen größer geworden sind, zu ihren ganz natürlichen Lebensbedüfnissen gehört. Zu diesem Zweck wurde Mausfried von der Havel kreiert, ein Maskottchen, das die jüngeren Besucher durch die Räume begleitet und ihnen zeigt, dass Geschichte keineswegs blöd und langweilig und nur etwas für die Erwachsenen ist. Wobei - jeder kennt die "Geschichte mit der Maus", die eigentlich Kinder ansprechen soll, aber auch bei der älteren Generation sehr beliebt ist, werden hier doch viele Fragen beantwortet, die man als Erwachsener selbst gern gestellt hätte, was man sich aber nicht traut, um nicht als unwissend abgestempelt zu werden. Soll heißen, dass Mausfried von der Havel eben nicht nur für die Jüngeren da ist, sondern ebenso für ihre Eltern.

Und was - so wird sich manch einer an dieser Stelle vielleicht schon mit Ungeduld fragen - gibt es in diesem Museum eigentlich alles zu sehen? Eine mehr als verständliche Frage, auf die ich hier allerdings nicht ausführlicher eingehen werde, denn erstens besitzt das Museum eine Webseite, auf der man Einiges erfahren kann, und zweitens, was viel entscheidender ist, steht das Museum ja jedem fast jederzeit für einen Besuch offen. Zusammengefasst nur so viel: Elf Räume gibt es, jeder mit einer Fülle von Exponaten, die die jeweilige Zeit zum Reden bringen, und zwar dadurch, dass sie das Geschehen von der höheren Ebene des Welt- oder nationalen Geschehens auf unsere lokale Ebene runterbrechen. Es sind nicht zu viele Exponate, die man hier zeigt, aber auch nicht zu wenige, was bedeutet, dass man nicht erschlagen wird, sondern sich entspannt sehend, lesend und hörend durch die Zeiten bewegen kann. Auch interaktiv und digital, versteht sich, denn wir leben nun mal in einem digitalen Zeitalter, auch wenn das bei manch einem unserer Politiker noch nicht wirklich angekommen zu sein scheint. Schwerpunkt bei den Themen ist und bleibt immer Oberhavel, und zwar die ganze Region und nicht etwa nur der bevölkerungsreichste Bereich um die Kreisstadt Oranienburg. Vielmehr gehen die Themen der Ausstellung bis in den dünnbesiedelten Norden des Kreises, etwa bis nach Zehdenick mit seiner Ziegelvergangenheit und eben auch bis nach Kurtschlag. Zu jenen Erlebnissen von Kurtschlägern während der 

Maueröffnung, die Ulrike Rack, eine der Powerfrauen des Museums, auf kurtschlag.de entdeckt und um deren Übernahme für ihre Ausstellung sie uns vor einigen Monaten gebeten hat, weshalb nun jedermann unsere Erinnerungen auf sechs Tafeln nachlesen kann. 1000 Jahre lang, vielleicht auch ein bisschen weniger, aber auf jeden Fall über eine lange Zeit. Diese lange Zeit wünschen wir uns, vor allem aber wünschen wir sie dem Museum. Man muss kein Glaskugelgucker oder Kaffeesatzleser sein, um die gute Zukunft vorherzusehen, die dem ReMO beschieden sein wird. Das Einzige, was dem momentan noch im Weg steht: Es muss sich erst einmal herumsprechen, dass im Schloss Oranienburg etwas Neues auf die Beine gestellt wurde. Wozu diese Zeilen einen kleinen Beitrag leisten wollen, und das keineswegs still und zurückhaltend, sondern laut und auffordernd mit der dringenden Empfehlung: Fahrt mal hin, liebe Kurtschläger, und überzeugt Euch, soweit Ihr es nicht schon vorher wusstet, was für eine interessante Region unser Oberhavel ist. Und ich bin sicher, Ihr werdet mit derselben Einstellung zurückkehren wie wir: als Fans dieses rundum gelungenen Museums.