Goldener Kalter Krieg

oder:

die Brandenburger Koalition setzt auf Erdgas

Ich bin ein Kind der Generation Kalter Krieg. Als ich 1949 geboren wurde, tobte er bereits seit mehreren Jahren. Deutliche Zeichen waren etwa die Berliner Blockade oder die Gründung zweier deutscher Staaten mit der Einbeziehung der jeweiligen Blöcke. Gleichzeitig wurde auf beiden Seiten so massiv aufgerüstet, dass die vorhandenen Waffen ausgereicht hätten, die Erde gleich zig Mal in Sternenstaub zu verwandeln. Habe ich persönlich unter diesem Kalten Krieg gelitten? Nicht unter den Waffen, denn die wurden nicht eingesetzt. Jedem denkenden Menschen war klar: Wer als erster schießt, stirbt als zweiter, deshalb blieben diese Horrorwaffen in den Arsenalen. Natürlich - es gab Stellvertreterkriege wie in Korea oder Vietnam und die Beschränkungen meiner Bewegungsfreiheit (als West-Berliner) durch die Mauer. Ich konnte in die ganze Welt reisen, nur beim Umland gab es Probleme. Aber ansonsten habe ich bestens gelebt. 1989 dann mit dem Mauerfall und dem Ende des Eisernen Vorhangs auch das Ende des Kalten Krieges. Wie auch immer man diesen bewerten mag - Fakt ist, dass er Europa die längste Friedensperiode seiner Geschichte beschert hat. Und mir selbst 70 Jahre im Frieden.

 

Und was ist mit denen, die heute geboren werden oder die in jugendlichem Alter sind? Für sie ist der Kalte Krieg reine Geschichte (ich meine den wirklichen Kalten Krieg und nicht die im Verhältnis dazu harmlosen "Plänkeleien", die es zwischen einigen Staate in Europa immer noch gibt). Dafür ist ein anderes Problem für sie um so konkreter: das Erleben, wie die Generation ihrer Väter und Mütter gerade dabei ist, die Erde, ihren Lebensraum, gegen die Wand zu fahren. "Ihr lasst uns im Stich!", hatte Greta es in ihrer sehr emotionalen Rede in New York an die politisch Verantwortlichen adressiert, und sie hat Recht. Tausende Berichte von Wissenschaftlern bestätigen sie, und die Nachrichten im Fernsehen beweisen es jeden Tag: Überschwemmungen in Österreich, riesige Waldbrände in Kalifornien und Australien, zerstörerische Monsune in Asien, Dürren in Afrika, das Schmelzen des "ewigen" Eises, der Anstieg des Meeresspiegels - oder wem das alles zu weit entfernt und zu abstrakt ist, der erinnere sich nur an die letzten Sommer in unserer Region. Und das angesichts einer Erderwärmung von aktuell etwa 1 Grad. Auf unter 1,5 will die Politik das begrenzen, aber schon jetzt sprechen manche Wissenschaftler von zu erwartenden 3 Grad. Und sollte jetzt jemand meinen, 3 Grad seien Pillepalle, dem sei gesagt, dass die Temperaturen in der letzten Eiszeit gerade mal wenige Grad unter den heutigen lagen und Europa damals von einer kilometerdicken Eisschicht bedeckt war. Wenn unsere Probleme heute schon so gravierend sind, wie werden sie erst unter der Bedingung von 1,5 oder 3 Grad sein?

 

Obwohl das alles bekannt ist und zig mal wiederholt wurde, handelt die Politik, als wäre alles kein Thema. Das windelweiche Klimaschutzgesetz der Bundesregierung beweist das, und akuell zeigt es - und damit komme ich zu dem Thema, um das es mir geht - die Koalitionsvereinbarung der drei Brandenburger Regierungsparteien. Stichwort Erdgas, das Thema, das uns hier im letzten Jahr umgetrieben hat und das immer noch auf der Tagesordnung steht. Liest man sich die Formulierungen in der Koalitionsvereinbarung durch, dann wird deutlich, dass die neue brandenburgische Regierung konsequent auf den Erdgasausbau setzt, mit ein wenig Mitbestimmung der Bürger und finanzieller Beteiligung der Kommunen zwar, aber Erdgas soll weiter eine - zunehmende! - Rolle bei uns spielen. Dass die CDU das mitmacht, erstaunt mich nicht; dass die desolate SPD ebenfalls dabei ist, auch nicht sehr; dass sich allerdings die Grünen daran beteiligen, die den Erdgasausbau bei uns vor der Wahl noch bekämpft haben, finde ich dagegen schon bemerkenswert. Ja, ich weiß: staatspolitische Verantwortung (manche würden eher formulieren: die Futtertröge der Regierung), aber dafür eine solch wesentliche Position fallen zu lassen, oder um es mal ins große Ganze zu übersetzen: damit die Lebenschancen der künftigen Generation zu verraten, das muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen. Die "Bürgerinitiative gegen das Gasbohren" hat jede Menge Gründe angeführt, warum das Gasbohren bei uns unsinnig und höchst überflüssig ist. (Siehe dazu auch dieses aktuelle Ereignis.) Jetzt in einem Koalitionsprogramm die Sache weiterzuverfolgen, ist in meinen Augen ganz schlimm, denn es trägt zu der Situation bei, die für die kommende Generation noch zum großen Verhängnis werden wird. Von 1945 bis 1989 hatten wir den Kalten Krieg, das waren 44 Jahre. Rechnen wir von heute 44 Jahre weiter, dann kann ich - ein Kind dieses Kalten Krieges - nur sagen: Ich bin heilfroh, dass ich diese "goldene" Kalte-Kriegs-Zeit erlebt habe und nicht miterleben muss, was der heutigen Generation durch das Versagen ihrer Mütter und Väter bevorsteht!

Brandenburger Koalitionsvereinbarung

(4.2.) Erdgas und Erdöl

Die Koalition lehnt die unterirdische CO2-Verpressung und Fracking ab.

Für Erdgas- und Erdölvorhaben wird die Koalition ein Verfahren entwickeln, in dem die Belange der Regionalentwicklung hinlänglich unter Einbeziehung der Kommunen und der Öffentlichkeit geprüft werden. Dazu können Modelle wie Beiräte, Runde Tische oder ähnliche transparente Beteiligungsformen angewandt werden. Im Zuge der Genehmigung neuer Vorhaben zur Erdöl- und Erdgasförderung ist zudem für ein transparentes Monitoring Sorge zu tragen.

Die Koalition strebt an, dass die von einer Erdöl- und Erdgasförderung betroffenen Kommunen in angemessener Höhe an den Einnahmen aus der Feld- und Förderabgabe für Erdöl und Erdgas beteiligt werden."

Und nun?

Manfred Lentz / 7. April 2019

Das war ein schöner Anblick am Nachmittag des 6. April auf dem Zehdenicker Marktplatz: das historische Rathaus, die hübschen Bürgerhäuser ringsum, und auf dem Platz eine bunte Menge, die dem Aufruf der "Bürgerinitiative gegen das Gasbohren" gefolgt war. Menschen aus Zehdenick, Templin und Gransee und den Dörfern dazwischen, jung und alt, mit und ohne Transparente, und alle vereint in dem Anliegen: No Gas! Die Trommler aus Kurtschlag machten den Anfang, es folgten mehrere Redner, Lieder zum Mitsingen und schließlich die Demonstration, ein halbstündiger Marsch vorbei am Sitz von Jasper Resources und wieder zurück zum Markt. Geschätzte Teilnehmerzahl: Ich gehe von 700-800 aus, andere meinten: 1.000. Egal - viel wichtiger ist die Frage: War die lange vorbereitete und angekündigte Veranstaltung ein Erfolg?

 

Ja und nein. Dass Leute, die in ihrem Alltag für gewöhnlich etwas ganz anderes machen, binnen kurzer Zeit mehrere Versammlungen organisieren und als Höhepunkt obendrauf noch eine Demonstration, ist zweifellos eine Leistung und spricht für das Engagement der Beteiligten. Doch sind die 1000 - nehmen wir einmal diesen großzügigen Wert - keineswegs eine großartige Zahl. Rund 40.000 Menschen leben in dem Gebiet, in dem das Gasbohren droht, auf rund 50.000 von der BI herausgegebenen Flyern war neben allgemeinen Informationen über die Gasproblematik der Aufruf zur Demonstration zu lesen, und am Ende waren es gerade einmal 1000 Menschen, die den Weg auf den Zehdenicker Marktplatz fanden. Vergleicht man diese Zahl mit den rund 400 Personen bei der Gründungsversammlung der Bürgerinitiative in Templin und den rund 500 bei der Versammlung im Februar ebenfalls in Templin, so sind die 1000 zwar eine deutliche Steigerung. Aber ausgehend von dem vorhandenen Potential wäre mehr drin gewesen. Dass es nicht so gekommen ist, zeigt in meinen Augen, dass bei der Mobilisierung der Menschen zumindest gegenwärtig ein Ende der Fahnenstange erreicht ist. Die Gründe dafür kennt jeder, der sich gegen das Gasbohren engagiert und der versucht hat, mit seinen Mitbürgern darüber zu sprechen: die immer wieder anzutreffende Gleichgültigkeit sowie die Haltung "Die da oben machen sowieso, was sie wollen", gegen die man sich den Mund fusselig reden kann. Mag man als Gasgegner das Thema auch als noch so wichtig ansehen und zum Widerstand dagegen aufrufen - viele Zeitgenossen werden leider erst dann munter, wenn es ans Eingemachte geht, wenn Gift im Trinkwasser ist, ein Riss im Haus oder wenn die Zahl der Touristen zurückgeht. Davor läuft gar nichts. Eine Situation, die die Gasgegner beklagen können, mit der sie sich aber wohl oder übel abfinden müssen. Und das erst recht in den kommenden Monaten, wenn nach der ersten Empörung und den spontanen Aktivitäten der letzten Zeit der weitgehend ereignislose Alltag beginnt. Oder sollten mir die nächsten BI-Highlights vielleicht entgangen sein?

 

Pessimismur pur also? Keineswegs. Die Mobilisierung von Menschen ist nur einer von mehreren Hebeln, die man ansetzen kann, um das Gasbohren zu stoppen. Es gibt drei weitere. Der eine ist die rechtliche Schiene. Räumen unsere gegenwärtigen Gesetze den Gasfirmen auch einen großen Spielraum ein, so ist dieser doch nicht unbegrenzt. Und genau hier kann die Bürgerinitiative - etwa in Zusammenarbeit mit dem BUND - ansetzen und versuchen, über eine BI-genehme Auslegung von Paragraphen das von Jasper anvisierte Probebohren und die erhoffte Förderung von Erdgas zu Fall zu bringen. Ob die Paragraphen das hergeben, wird sich zeigen. Ein zweiter Hebel, und letztlich ein noch besserer, ist die Politik. Die Energiepolitik wird von Politikern bestimmt, und wenn die nur wollen, so können sie die Energiepolitik ändern. Genau hierauf müssen die Gasgegner Einfluss zu nehmen versuchen, d.h. sie müssen exakt das tun, was jeder Lobbyist tut. Adressat ist - abgesehen von einem möglichen Einflussversuch auf die Bundespolitik - die Landesregierung in Potsdam. Und zwar die, die im September wiedergewählt werden will, was eine geradezu ideale Bedingung für das Agieren der Bürgerinitiative bedeutet. Einflussnahme auf die dortigen Politiker also, aber nicht mit drögen Bleiwüsten-Schreiben für den Papierkorb, sondern mit kreativen, ideenreichen Aktionen, die zum Nachdenken anregen, Sympathie wecken und im besten Fall Unterstützung im Kampf gegen das Gasbohren bewirken. Und schließlich ist da noch ein dritter Hebel, und auf dem Marktplatz in Zehdenick ist deutlich geworden, dass dieser Hebel eine ganz vorzügliche Waffe sein kann: die Entschlossenheit der politisch Verantwortlichen in den drei Städten Zehdenick, Templin und Gransee, sich dem Gasbohren zu widersetzen. Wie die drei Musketiere standen sie auf dem Podest, einer für alle und alle für einen, und als Zuschauer spürte man beinahe schon die diebische Vorfreude, mit der sie den Jaspers in Zukunft das Leben schwer machen wollen. Stolpersteine auslegen, hat das einer genannt, und Stolpersteine gibt es zwischen Feuerschutzauflagen und dem Versagen von Wegerechten für eine fantasiereiche Verwaltung wahrlich genug. Jeder von uns weiß, wozu clevere Leute in der Lage sind, wenn sie den Nachbarn ärgern wollen oder den Partner oder sonst wen, und genau das können - und werden wohl auch - die drei Städte zukünftig tun. Frei nach dem Motto "Gemeinsam sind wir unausstehlich".

 

Wird es also gelingen, das Gasbohren zu verhindern? Die Chancen stehen nicht schlecht, auch wenn der Hebel der Mobilisierung der Menschen offenbar an eine Grenze gestoßen ist. Aber drei Hebel gibt es  ja noch. Werden sie richtig eingesetzt, können sie den erhofften Erfolg vielleicht bringen. Schauen wir mal!