Der Arbeiterverein zu Kurtschlag, 1884

 "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft", so schrieben Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei, "ist die Geschichte von Klassenkämpfen ... Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat." Folge dieser gesellschaftlichen Spaltung war eine permanente Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse, gleichzeitig gab es Bemühungen, diese Situation zu verändern. Nach und nach entstanden im 19. Jahrhundert Organisationen, die sich diese Aufgabe auf die Fahne geschrieben hatten: Gewerkschaften, Parteien, und worum es in unserem Zusammenhang geht: Arbeitervereine. Wer Genaueres über die Entwicklung dieser Arbeitervereine ganz allgemein wissen will, der findet in Wikipedia eine Zusammenfassung.

Die damalige Entwicklung ist auch an Kurtschlag nicht vorbeigegangen, hier kam es im Jahr 1884 zur Gründung eines Arbeitervereins. Im Stadtarchiv Zehdenick haben wir das Statut dieses Vereins gefunden, das wir hier vorstellen. Was die Einflussmöglichkeit des Vereins auf die gesellschaftliche Entwicklung jener Zeit betrifft, hat es sich allerdings um eine eher zahnlose Organisation gehandelt. So heißt es im Text ausdrücklich, "daß bei allen Versammlungen oder Zusammenkünften keine Besprechungen über Staats-, Gemeinde- oder politische Angelegenheiten stattfinden dürfen". Eine Formulierung, die im Text einer Arbeiterorganisation eher befremdlich klingt, würde man doch annehmen, dass diese sich auch und gerade die Einflussnahme auf politische Angelegenheiten zum Ziel gesetzt hat. Sieht man sich jedoch die Zeit an, in der das Statut geschrieben wurde, so wird der Grund für diese Zahnlosigkeit deutlich: Es war die Zeit des Bismarckschen Sozialistengesetzes von 1878, das sich "gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" richtete, in der alle sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Vereine sowie ihre Versammlungen und Druckschriften verboten waren. Verstöße wurden mit Berufsverbot, dem Verlust der Freizügigkeit, Ausweisung oder Gefängnis geahndet. Das Gesetz blieb bis zum Jahr 1890 in Kraft, verfehlte aber letztlich seine Absicht, ging die deutsche Sozialdemokratie doch gestärkt aus dieser Phase hervor. Warum ausgerechnet in dieser Zeit der Unterdrückung der Kurtschläger Arbeiterverein gegründet wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Auf die fehlende politische Relevanz weist auch die Kurtschläger Dorfchronik hin, wenn es dort heißt, dass "die gedanklichen Grundlagen des Statuts eher moralischer als politischer Natur (waren). Die Mitglieder mussten unbescholten sein, hatten für Ruhe und Ordnung bei festlichen Anlässen im Ort zu sorgen und statteten einem Dahingeschiedenen das  Begräbnis unter Umgehung kirchlicher Gepflogenheiten aus. Sie verpflichteten sich, in Not geratene Vereinsmitglieder zu unterstützen. Der Verein hatte zu Feierlichkeiten oder Festakten in voller Mitgliederzahl geschlossen, sauber und anständig gekleidet zu erscheinen. Einige Jahre später marschierte die Arbeiterschaft mit eigener Kapelle und Fahne auf und vertrat würdig ihren Teil der Gemeinde." (Manfred Lentz)

 

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