Die Flugzeuge vom Flugplatz Groß Dölln

Eine Einführung von Manfred Lentz

Wenn die Leidenschaft für russische Militärflugzeuge einen Namen hätte, dann könnte sie Michael Rother lauten. In jeder Zeile der Mails, die wir gewechselt haben, kommt diese Leidenschaft zum Ausdruck. "Sie lässt mich nicht mehr los", schreibt er und bezeichnet die Zeit nach der Wende als "die spannendste Zeit meines Lebens", als er zusammen mit anderen Interessierten nicht nur die russischen Flugplätze in der ehemaligen DDR besuchen, sondern auch die dortigen Maschinen aus der Nähe betrachten und sogar fotografieren durfte. Schon seit den 1980er Jahren begeisterte sich der Mittfünfziger aus Bielefeld für solche Flugzeuge, doch scheinen die ersten Jahre dieser Beschäftigung nur das Vorspiel gewesen zu sein für das, was mit dem Ende der deutschen Teilung und dem damit zusammenhängenden Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland auf einmal möglich war. Wann immer sich die Möglichkeit ergab, hat Michael Rother den sowjetischen Flugplätzen einen Besuch abgestattet, allein fünf Mal dem in Groß Dölln, zuletzt im April 1994, "am Rückführungstag der Su-22 nach Russland". Wie solche Besuche abliefen, beschreibt er so:

 

"Die Besuche fanden damals mit offizieller Genehmigung des Hauptquartiers in Wünsdorf statt. Vor Ort mussten wir uns an der Hauptwache melden und wurden dann zum Kommandanten geführt. Dieser sprach den Ablauf des Besuches mit uns durch und stellte uns eine Begleitperson mit Deutschkenntnissen zur Verfügung. Aus naheliegenden Gründen haben wir versucht, den Eindruck zu erwecken, als wären wir ausschließlich an den Flugzeugen interessiert und nicht auch an den Bunkern, der Nachrichten- und Radartechnik und an den Munitionslagern. Ein solches Interesse hätte als mögliche Spionage schnell ins Auge gehen können. Wir waren ja aus dem Westen! Man gab uns die Möglichkeit, in dem russischen Magazin einzukaufen und zeigte uns Büros und Schulungsräume. Wohnungen und Schlafsäle dagegen blieben uns versperrt. Wiederholt haben die Kommandanten Einladungen zum Fotografieren ausgesprochen. Wir sind dann mit unseren Privatautos hinter einem Militärjeep hergefahren, bis wir an der Rollbahn angelangt waren, wo wir darauf warteten, was sie uns zeigen wollten." Mit dem Wörtchen "sie" ist das 20. GvApib gemeint, "das 20. Garde-Jagdbomberregiment. Bei diesen Regimentern kann man die Geschichte bis zum Zweiten Weltkrieg zurückverfolgen. Sie zeichneten sich durch besondere Taten aus und bekamen spezielle Wappen verliehen. Unter den Cockpits vieler Flugzeuge konnte man sie sehen."

 

 Dass Michael Rother nicht nur Fotos von sowjetischen Flugzeugen besitzt, sondern auch diverse Ausrüstungsgegenstände, kann kaum überraschen. Aus verschiedenen Quellen hat er u.a. Schleudersitze und Jethelme, Pilotenjacken und Sauerstoffmasken zusammengetragen - alles Originale von der Art, wie die Piloten in Groß Dölln sie seinerzeit benutzt haben. Wenn er all diese Gegenstände sammeln und außerdem Fotos von den damaligen Flugzeugen machen konnte, so lässt sich das nur durch die besondere Situation jener Zeit erklären. Es war die Zeit des Umbruchs, als Glasnost und Perestroika den Untergang des Sozialismus in Osteuropa einläuteten, als mit dem Warschauer Pakt das Militärbündnis der osteuropäischen Staaten zerfiel und einer friedlichen Zusammenarbeit zwischen Ost und West nichts mehr im Weg zu stehen schien. Eine irrige Annahme, wie wir inzwischen wissen. Doch war in dieser kurzen Zeit des Übergangs von der harten Konfrontation zu einer neuen Form des Ost-West-Verhältnisses auf einmal jener Blick auf das russische Militär und damit also auch auf dessen Luftwaffe möglich, von dem Michael Rother und Gleichgesinnte profitierten. Wer mehr wissen will über die sowjetische und russische Militärfliegerei, dem sei die Webseite 16va.be empfohlen, auf der Gleichgesinnte eine Fülle weiteren Materials zusammengetragen haben. Zunächst aber sollte er seine Aufmerksamkeit den folgenden Erinnerungen zuwenden, die Michael Rother kurtschlag.de freundlicherweise geschickt hat. Wofür wir ihm herzlich danken. 



Erinnerungen an das 20. Garde-Jagdbomberregiment in Groß Dölln

von Michael Rother

Alle Maschinen, die am Flugbetrieb teilnehmen, werden auf die Vorstartlinie gezogen. Alle Trainingsflüge beginnen und

enden dort. In der Zwischenzeit werden die Maschinen von dort für die nächsten Flüge einsatzbereit gemacht.

Am 6. April 1993 ging es los. Wir besuchten das 20. Garde-Jagdbomberregiment in Groß Dölln. Wir - das war eine kleine Gruppe von Flugzeugfotografen aus dem Raum Bielefeld/Gütersloh. Also "Wessis", die eine Fotogenehmigung bei mehreren russischen Geschwadern in der ehemaligen DDR erhalten hatten. Organisiert hatte das mein Fotofreund Frank Dombrink, der über beste Kontakte zum Hauptquartier der 16. Luftarmee in Wünsdorf verfügte.

 

Wir fuhren die langgezogene Landstraße entlang. Rings um uns nur Kiefernwälder, von einem russischen Militärflugplatz war weit und breit nichts zu sehen. Dann eine Abbiegung, ein Schild, das Richtung Groß Väter wies. Wir bogen ab. Die Straße führte direkt zur Hauptwache der Basis. Mein Freund sprach den wachhabenden Offizier an. Der klärte alles Notwendige per Telefon mit dem Kommandanten. Das große Metalltor mit dem Russenstern ging auf, und wir fuhren an Kasernenanlagen vorbei zur Flugleitung. 

Jagdbomber des Geschwaders vom Typ Su-17 M4, Nato-Code "Fitter"

Dort angekommen nahm uns eine russische Dolmetscherin, die üblicherweise auch in der Flugleitung arbeitete, in Empfang. Die Startzeiten wurden erfragt, und es ging direkt zur Vorstartlinie, auf der alle Maschinen des Geschwaders aufgereiht standen, die an diesem Tag für den Flugbetrieb vorgesehen waren. In Groß Dölln wurden die Su-17 M4 und in der Trainerversion die Su-17 UM3 geflogen. Die üblichen Flugtage des Geschwaders waren Dienstag, Donnerstag und vor der Wende auch Samstag. Das Wetter an diesem Tag war schlecht, aber man teilte uns mit, dass es bald besser werden würde. Als der Flugbetrieb schließlich begann, standen wir direkt am Taxiway (der Start- und Landebahn) und fotografierten die Maschinen, wenn sie starteten und später vom Einsatz zurückkamen. Die russischen Piloten waren freundliche Menschen. Jeder hielt mit seiner Maschine kurz an, so dass es uns möglich war, sein Flugzeug ganz in Ruhe zu fotografieren.

 

Mit dabei war natürlich ständig unsere russische Dolmetscherin. Nach kurzer Zeit taute sie immer mehr auf. Und erzählte uns unter anderem, dass sie mit einem Piloten des Geschwaders verheiratet und Mutter eines kleinen Kindes sei. Sie sprach über die schwierige Situation in Russland und dass sie dort nach ihrer Rückkehr aus Deutschland in Zelten leben müssten. Sie sei bereit, ihren Mann und ihr Kind zu verlassen, um im Westen leben zu können. Ob wir nicht eine Möglichkeit wüssten, wie sie das anstellen könnte. Aber wer von uns kannte schon eine solche Möglichkeit, noch dazu für eine Angehörige der russischen Luftwaffe?

Trainingsmaschinen des Geschwaders vom Typ Su-17 UM3; vorne Flugschüler, hinten Fluglehrer

Schließlich war es Nachmittag geworden, und der Flugbetrieb neigte sich dem Ende entgegen. Nach einigen Gesprächen erklärten sich die Russen bereit, uns noch zwei Maschinen aus dem Shelter (einer Art Hangar) zu ziehen, damit wir diese aus erhöhter Position fotografieren konnten. Als ich in einen Shelter schaute, sprach mich ein russischer Offizier, der an einem Flugzeug arbeitete, in perfektem Deutsch an. Er stellte sich als Andrej Isakov vor und erzählte mir, dass er Flugzeugingenieur für verschiedene Kampfflugzeugtypen der russischen Luftwaffe sei.

 

Der Tag ging zu Ende, und wir fuhren ab, machten vorher aber noch einen weiteren Termin mit den Russen für den 13. April 1993 aus. Bei diesem zweiten Besuch tauchte nach kurzer Zeit wieder Andrej Isakov mit einem Fahrrad auf und unterhielt sich mit mir. Ich fragte ihn, ob er mir eine Sauerstoffmaske und einen Pilotenhelm besorgen könne. Er stieg aufs Fahrrad und kehrte kurze Zeit später mit einer Sauerstoffmaske und einem russischen Stahlhelm zurück. Außerdem schenkte er mir verschiedene russische Abzeichen und Wimpel des Geschwaders als Souvenir.

Su-25 Einsitzer und Trainer des Geschwaders aus Tutow-Demmin bei der Zwischenlandung in Groß Dölln und einen Tag später beim Abflug nach Russland

Der dritte Besuch in Groß Dölln fand am 15. Juni 1993 statt. Ein Geschwader mit Maschinen vom Typ Su-25 aus Tutow Demmin landete auf dem Flugplatz und flog am darauffolgenden Tag nach Russland zurück. Wir fotografierten die Maschinen am Taxiway. Irgendwann kam Andrej Isakov. Zwischen den Landungen lagen wir im Gras, rauchten und unterhielten uns. Er berichtete mir, dass seine Frau auf dem Flugplatz als Zahnärztin arbeite und sie sich in einer Garnion kennengelernt hätten. Beide seien Kinder aus Offiziersfamilien. "Mischa, so ist Leben in Garnison", sagte er. Dann erzählte er mir, dass einige Offiziere und er einen Bus gemietet hätten, sie wollten sich unbedingt die Stadt Lübeck anschauen. Als wir uns verabschiedeten, sagte er mir, dass er zu meinem nächsten Besuch einen Pilotenhelm für mich auftreiben würde. Er gab mir seine Postadresse in der Garnison Groß Dölln und sagte, ich könne ihm ja einen Brief schreiben. (So etwas tat man noch in den 1990er Jahren.)


Der 5. April 1994 ist angebrochen. Mechaniker werfen einen letzten Blick auf die Su-17 Jagdbomber, bevor sie auf die Startbahn rollen und ihre lange Reise von Groß Dölln nach Russland antreten.

Mein letzter Besuch bei dem Geschwader fand am 5. April 1994 statt. Das Geschwader flog nach Russland zurück. An diesem Tag tummelten sich eine Menge Fotografen das letzte Mal auf dem Flugplatz. Als alle Maschinen abgehoben hatten, packten wir zusammen und fuhren nach Hause. Andrej Isakov und ich haben uns nicht mehr wiedergesehen. Ein Bekannter, der an dem Tag auch anwesend war, sagte mir, dass Andrej nach mir gefragt und mich gesucht hätte. Offenbar wollte das Schicksal es nicht, dass wir uns noch einmal begegnen. Ich schrieb damals noch einen Brief mit Fotos an ihn nach Groß Dölln, doch ich erhielt keine Antwort. Was bleibt, sind jede Menge Erinnerungen, sind tolle Aufnahmen und die Souvenirs, die er mir geschenkt hat.