Der 17. Juni 1953 auf dem Flugplatz Groß Dölln

Manfred Lentz

Auf der Webseite berlinHistory bin ich kürzlich auf Informationen über Aktivitäten auf dem Flugplatz Groß Dölln im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 gestoßen. Ich habe den Verfasser des dortigen Artikels Christoph Wunnicke um Auskunft über seine Quellen gebeten, die er mir freundlicherweise gegeben hat. Dafür sage ich ihm herzlichen Dank. Im Folgenden habe ich die damaligen Ereignisse auf dem Flugplatz zusammengestellt.

 

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Während die Proteste um den 17. Juni 1953 viele Teile der DDR intensiv erfassten, blieb es in den nördlichen Bezirken Neubrandenburg (dazu gehörte Groß Dölln) und Schwerin insgesamt relativ ruhig. Eine Ausnahme bildeten lediglich Groß Dölln und Teterow. Für Groß Dölln liegt eine erste Information vom 17. Juni, 14 Uhr, vor. Es handelt sich um eine telefonische Durchsage der SED-Bezirksleitung an das ZK der SED in Berlin. Danach meldete "der Parteisekretär von der Grossbaustelle Groß Dölln, daß ab sofort Maschinisten, Lokführer und Hilfspersonal des gesamten Bahnbetriebes der Baustelle in den Streik treten." Die Bauarbeiter vom Flugplatz waren an dieser Aktion noch nicht beteiligt. Hier kam es erst am darauffolgenden Tag zu dem einzigen größeren Streik in Neubrandenburg. Über den Ablauf dieses Ereignisses liegt ein Bericht der "Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei an die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei in Berlin" vom 27. Juni vor, in dem es um die Auswertung der Ereignisse seit dem 16. Juni geht. Wegen der Authentizität übernehme ich diesen Bericht im Wortlaut: 

 

"Am 18.6.1953, gegen 9.00 Uhr, legten im Objekt Groß Dölln, Krs. Templin, ca. 1.600 Arbeiter die Arbeit nieder. Es wurde dort in dem Objekt eine illegale Streikleitung gebildet, die während der Versammlung mit ihren Forderungen auftrat. Die Forderungen, die von Seiten der Streikleitung aufgestellt wurden, lauteten:  40 %ige Preissenkung in allen HO-Geschäften, Herabsetzung der erhöhten Norm und Lohnerhöhung, Abzug der sowjetischen Einheiten aus dem Objekt sowie freie Wahlen. Bei Bekanntwerden der Arbeitsniederlegung in Groß Dölln setzte sich die Einsatzleitung der BDVP (Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei - ML) sofort mit der Bezirksleitung der Partei in Verbindung, um Maßnahmen festzulegen, welche dazu dienten, die Rädelsführer und Provokateure, welche die Rias-Hetze verbreiteten, zu entlarven und festzunehmen. Weiterhin wurden Maßnahmen besprochen, um den weiteren Arbeitsablauf zu sichern. Durch die Bezirksleitung der Partei wurde die Kreisparteischule von Templin und Lychen nach Groß Dölln beordert, um dort Agitationsarbeit unter den Bauarbeitern zu leisten. Von Seiten der BDVP wurde angeordnet, daß sofort zwei Gruppen Volkspolizisten zur Sicherung und Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung einzusetzen sind. Im Objekt selbst wurden zehn Angehörige der Abteilung K (Kriminalpolizei - ML) eingesetzt, die die Aufgabe hatten, die Provokateure festzustellen und in der weiteren Folge zu isolieren. Die übrigen Einsatzkräfte der Volkspolizei übernahmen den Schutz der Unterkunftslager, und weiterhin wurden der Transformator sowie das Zementlager bewacht. Der Chef der BDVP sowie der Einsatzleiter K der BDVP-Neubrandenburg begaben sich zum Einsatzort, um mit der dortigen Einsatzleitung im VPKA-Templin (Volkspolizei-Kreisamt - ML) und im Objekt mit Funktionären der Partei konkrete Einzelheiten des Einsatzes der Volkspolizei und der Partei durchzusprechen. Der Einsatz der Agitatoren von Seiten der Partei hatte keinen vollen Erfolg.

Im Laufe des Tages sowie in der Nacht vom 18.-19.6.1953 entfernten sich fast zwei Drittel der Belegschaft aus dem Objekt. Die dort tätigen Arbeiter waren aus dem gesamten Gebiet der DDR zusammengezogen. Um trotzdem den weiteren Arbeitsablauf zu sichern und die ankommenden Güterzüge mit Materialien zu entladen, wurden Kräfte der landwirtschaftlichen Berufsschule und der Gewerbeschule aus Templin für diese Arbeit eingesetzt (350 Kräfte). Am 19.6.1953, gegen 13.00 Uhr, begann die Kriminalpolizei mit der Festnahme von Provokateuren. Unter diesen vorgenommenen Festnahmen befanden sich drei Provokateure der dortigen Streikleitung. Auch bereits geflüchtete Provokateure wurden am 19.6.1953 gegen Abend in Brüssow, Krs. Pasewalk, durch die Kriminalpolizei festgenommen und nach Templin überführt. Die weitere Bearbeitung dieser Provokateure übernahm das MfS. Auf Grund der eingeleiteten Maßnahmen von Seiten der Partei kehrten bereits am 20.6.1953 ca. 200 Arbeiter zum Bauobjekt zurück, und es konnte am selben Tage um 8.00 Uhr der Zweischichtendienst wieder aufgenommen werden.

Der Stab, welcher von Seiten der Bezirksleitung der Partei dort gebildet wurde, hatte sich mit den Kreisleitungen in den einzelnen Bezirken in Verbindung gesetzt und die Namen und Wohnadressen der Bauarbeiter bekanntgegeben. Von den zuständigen Kreisleitungen wurden die Bauarbeiter aufgesucht und zur Arbeitsaufnahme aufgefordert.

Durch den richtigen polizeitaktischen Einsatz von Seiten der Kriminalpolizei in den Unterkünften sowie in dem Bauobjekt selbst konnten insgesamt 12 Provokateure von den übrigen Bauarbeitern isoliert und festgenommen werden. Durch den koordinierten Einsatz der Volkspolizei, der Bezirksleitung der Stadt und dem Vertreter des Hohen Kommissars war zu verzeichnen, daß am 21.6.1953 die Arbeit im Bauobjekt Groß Dölln, Krs. Templin, voll aufgenommen wurde. Ruhe und Ordnung wurden wieder hergestellt, und es kam zu keinen weiteren Zwischenfällen. Die Kräfte der Volkspolizei konnten am 22.6.1953 dort abgezogen werden."

 

Hier noch einige Anmerkungen:

- "Hoher Kommissar" war die Amtsbezeichnung des höchsten Vertreters  der Sowjetunion als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs in der DDR.

- In Templin streikten 200 Bauarbeiter der Bau-Union Potsdam.

- Die Bauarbeiter (etwa zwei Drittel der Belegschaft), die das Objekt am 18. Juni und in der darauffolgenden Nacht verlassen haben, sind wohl nach Haus gefahren. Offenbar wollten sie in der angespannten Situation bei ihren Angehörigen sein.

- 12 Arbeiter wurden als "Rädelsführer" des Streiks ermittelt, verhaftet und dem MfS übergeben. Nach tagelangen Verhören, bei denen sie nicht den Beistand eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen konnten, wurden sie wieder entlassen. Vom Betrieb erhielten sie die Kündigung oder sie gingen aus eigener Initiative.

- Über die Situation in dem sowjetischen Objekt in Vogelsang berichtet Christoph Wunnicke auf berlinHistory: "Unter der Oberbauleitung der Bau-Union Potsdam arbeiteten 1953 ... in Vogelsang ... rund 800 Bauarbeiter. Unter der Losung 'Weg mit den Normen! 50 Prozent Preissenkung der HO! Und freie Wahlen!' begannen sie am Nachmittag des 17. Juni 1953 den Streik. Eine Delegation der Streikenden erschien gegen 17.00 Uhr beim Vorsitzenden des Rates des Kreises und stellte Bedingungen. Zwei Arbeiter wurden verhaftet, während am Morgen des 18. Juni 90 Prozent der Belegschaft die Baustelle verließen. - Eine MfS-Akte vermerkte über den 19. Juni, dass die Einsatzstelle ... noch nicht vollständig arbeiten würde, was untertrieben war: Von 850 Beschäftigten waren nur 60 zur Arbeit erschienen."

In der MfS-Akte heißt es weiter: "Es hat eine Säuberungsaktion der Freunde stattgefunden." (Mit Freunden waren die Sowjets gemeint.)  Details über diese Aktion sind nicht bekannt.