Erich Freitag
Widerstandskämpfer und Parteifunktionär
Ende 2017 waren wir von kurtschlag.de im Stadtarchiv Zehdenick auf der Suche nach Material über Kurtschlag, und dabei ist uns ein interessantes Dokument in die Hände gefallen. Es handelt sich um eine Anklageschrift gegen drei Kurtschläger und einen Zehdenicker aus dem Jahr 1934, also aus der Ära der nationalsozialistischen Diktatur. Einer der Angeklagten war Erich Freitag - ein Name, der während der DDR-Zeit jedem Kurtschläger ein Begriff gewesen sein dürfte. In einer Kurzchronik eines unbekannten Verfassers, die wir ebenfalls im Stadtarchiv gefunden haben und die vermutlich aus dem Jahr 1989 stammt, findet sich über Erich Freitag Folgendes:
"Nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager Buchenwald - dort war Genosse Freitag bis zur Befreiung von den Faschisten eingekerkert - organisierte Genosse Freitag das gesellschaftliche und politische Leben in der Gemeinde Kurtschlag mit. Er war seit 1928 Mitglied der KPD und u.a. tätig als Angehöriger der Volkspolizei, hauptamtlicher Parteisekretär in den Ziegelwerken Zehdenick, Vorsitzender des Kreiskomitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, Mitglied der Gemeindevertretung Kurtschlag und Sekretär der SED-Dorfparteiorganisation. An der Ortsgestaltung in Kurtschlag hatte er als Vorsitzender des Bauaktivs großen Anteil. Erich Freitag war Träger des "Vaterländischen Verdienstordens" in Bronze. Am 22.7.1977 verstarb Genosse Erich Freitag ... Im April 1978 erhielt die POS Kurtschlag in einer Feierstunde ... den Ehrennamen "Erich-Freitag-Oberschule". Anlässlich dieser Namensgebung wurde ein Gedenkhain eingeweiht, der liebevoll von den Schülern unter Anleitung der Klassenlehrer gepflegt wird."
Wir veröffentlichen im Folgenden die Anklageschrift gegen Erich Freitag und drei seiner Genossen, weil sie ein aufschlussreiches Dokument aus der Zeit des Nationalismus mit Bezug zu Kurtschlag ist. Ergänzend dazu haben wir im Anschluss jene Passagen aus der 1999 erschienenen Dorfchronik Kurtschlags zusammengestellt, die sich mit Erich Freitag beschäftigen. Dass dabei viele Fragen offen bleiben, ist uns bewusst. Doch kann unsere Zusammenstellung jederzeit ergänzt werden. Jeder, der über Informationen verfügt, die das Bild dieses relativ "prominenten" ehemaligen Kurtschlägers abrunden können, ist aufgerufen, uns diese zukommen zu lassen. (Manfred Lentz)
Anklageschrift gegen Erich Freitag und Genossen aus dem Jahr 1934
Auszüge aus der Kurtschläger Dorfchronik von 1999
"In den Chronikaufzeichnungen des Jahres 1932 lesen wir, dass Kurtschlag zu einer Hochburg der KPD geworden war. Im Kreis Templin nannte man es das rote Dorf, gleich danach rangierten Zehdenick und Hammelspring."
"Die letzte Wahl (1932 - ML) hatte für die KPD im Dorf 167 Stimmen gebracht. Der Chronist schildert die politische Situation: "Große Aufregung wurde in die Gemeinde durch die Wahlen hineingetragen. Die Stimmung der Arbeiter ist kaum zu beschreiben, denn die KPD hat in Kurtschlag gewaltige Übermacht. Wer nur wagt, eine andere Meinung zu äußern, hat schwere Angriffe zu bestehen. Große Aufregung herrscht besonders bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Bis 1 Uhr nachts sind die Stuben voll besetzt, wo ein Radioapparat vorhanden ist. Unsere KPD ist organisiert, und von Zeit zu Zeit kommen Berliner Redner hierher."
"Ältere Einwohner erinnern sich, dass zu dieser Zeit (Anfang der 1930er Jahre - ML) in der Gaststätte Ney ... Versammlungen der beiden Arbeiterparteien SPD und KPD stattfanden. Besonders Ella Willamowski, Erich Freitag, Erich Tamm, Richard Streu und andere Genossen der KPD fanden sich des Abends dort ein und diskutierten mit den Einwohnern, unterstützt von Genossen aus Kappe und Groß Dölln. Es war überhaupt damals üblich, vielseitige politische Gespräche zu führen, wobei man sich den aktuellen Themen Arbeitslosigkeit und Machtaufstieg der Hitlerpartei am meisten zuwandte. Oft gab es Zusammenstöße der Arbeiterparteien mit der SA, die hier auch schon Fuß gefasst hatte. Die Arbeitslosigkeit zwang die Menschen, Wege aus der Ausweglosigkeit zu suchen; die einen fanden sie auf der politischen Linken, andere bei der politischen Rechten."
"Am 19. August (1934 - ML), nach dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg, fand in Deutschland eine Wahl statt. Unser Ort soll dabei den Nationalsozialisten fast 100 % Ja-Stimmen gegeben haben. Aber dieses Ergebnis war manipuliert. Denn noch immer trafen sich heimlich eine Anzahl Kurtschläger Kommunisten. Diese hatten mit 'Nein' gestimmt. Mit Spannung erwarteten sie das Ergebnis der Wahl. Es war gefälscht, ihre Nein-Stimmen traten nicht in Erscheinung. Aber ihre politische Arbeit wurde beobachtet. Noch immer hielten sie die Verbindung zu den kommunistischen Zellen in der Uckermark."
"Willi Bazinski hatte sich ein Auto angeschafft und rot angestrichen. Damit fuhr er - zum Ärger von Ortsgruppenleiter der NSDAP Rieck - weit in die Uckermark, um Zeitschriften zu vertreiben und Flugblätter zu verteilen. Da das bekannt war, wurde es auch bald verraten. Es gab für Erich Freitag, Erich Tamm und Willi Bazinski gutgemeinte Ratschläge und Warnungen. Aber sie hörten nicht darauf. Eines Tages nahm man sie bei der Verteilung von selbstverfassten Flugblättern fest und brachte sie in Untersuchungshaft. Bei den damals üblichen grausamen Verhören konnte in Erfahrung gebracht werden, dass die KPD-Genossen auch noch Beiträge zahlten. Auf diese Weise verhaftete man nun noch Richard Streu. Im März 1935 wurden sie abgeurteilt und erhielten Strafen zwischen 1 1/2 und 4 Jahren Zuchthaus. So gingen auch die politischen Ereignisse am Dorf nicht vorüber."
"Die Schülerzahl steigt (1961) weiter auf 117 an. Im Herbst wird der Ausbau der auf dem Schulhof stehenden Scheune zur Schulküche mit Speiseraum projektiert ... Für die Beschaffung des Baumaterials setzt sich besonders der Parteisekretär der SED der Gemeinde, Gen. Erich Freitag, ein."
"Seit Jahren arbeiteten innerhalb der Gemeindevertretung die ständigen Kommissionen. Erstmalig entnahmen wir aus den Protokollen die für dieses Jahr (1963) verantwortlichen Leiter. Es arbeiteten in den Kommissionen für
"Am 22. Juli 1977 verstarb das VVN-Mitglied Erich Freitag aus Kurtschlag. Er übte als Mitglied der SED-Kreisleitung das Amt des Vorsitzenden des Kreiskomitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer aus. Die 'Märkische Volksstimme' druckte einen Nachruf:
'Seit 1928 Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands, hat Genosse Freitag fast 50 Jahre lang unermüdlich mit Energie und Herz für den Fortschritt der Menschheit, für das Wohl des Volkes gekämpft. In der Nacht des Faschismus ist er auch als Häftling im Zuchthaus Luckau und im Konzentrationslager Buchenwald sowie im faschistischen Strafbataillon 999 dem Marxismus-Leninismus treu geblieben.
Nach der Zerschlagung des Faschismus durch die ruhmreiche Sowjetarmee stellte sich Genosse Freitag sofort dem demokratischen Wiederaufbau unserer Heimat zur Verfügung. Ob als Angehöriger der Volkspolizei, als hauptamtlicher Parteisekretär in den Ziegelwerken, als Vorsitzender des Kreisfriedensrates, als Kaderleiter in der Konsumgenossenschaft oder als Mitglied der Kreisleitung unserer Partei, stets hat Genosse Freitag die ihm übertragenden Aufgaben mit hohem Verantwortungsbewußsein gelöst.
Unsere Partei und Regierung haben die unermüdliche Arbeit des Genossen Freitag mit der Verleihung des 'Vaterländischen Verdienstordens' in Bronze, der Medaille 'Kämpfer gegen den Faschismus', der 'Ehrennadel der DSF' in Gold und Silber und vielen anderen Auszeichnungen geehrt.
Genosse Freitag hat bis zu seinem Tode besonders der Jugend unseres Kreises seine zahlreichen Kampferfahrungen vermittelt. Sein Tod hat eine Lücke in unsere Reihen gerissen. Genosse Freitag wird uns unvergessen bleiben. Sein Leben ist allen Kommunisten unseres Kreises Vorbild."
"Aus der Schulchronik für das Schuljahr 1978/79 ... entnehmen wir den Bericht über die Namensgebung für die POS Kurtschlag:
'Unmittelbar nach Beginn des Schuljahres gab es für Lehrer und Schüler einen der größten Höhepunkte in der Geschichte unserer Schule. Am Vorabend des Geburtstages unserer Republik (7.10.) wurde unserer Schule der Name Erich Freitags verliehen. Seit dem 6.10.1978 heißt die Schule nun 'Erich Freitag-Oberschule'. Ein Jahr hatten Lehrer und Schüler darum gekämpft, den Namen des Kommunisten Erich Freitag für ihre Schule zu erhalten. In den ersten Wochen des Schuljahres beteiligten sich noch einmal viele Schüler und Lehrer an der Vorbereitung dieses Tages, denn die Namensgebung sollte als ein Festtag begangen werden. Daß unsere Schule dann am 6. Oktober im Hochglanz erstrahlte, daran hatten alle mitgewirkt ...'
Die Festansprache hielt Genosse Gottwald, Sekretär der SED-Kreisleitung Gransee. Die Genossin Hilde Freitag - Witwe des Verstorbenen Erich Freitag - enthüllte während des Festappells den Namenszug, der am Hauptgebäude der Schule angebracht war."
"Die POS 'Erich Freitag' erhielt (1984) den Ehrentitel 'Kollektiv der sozialistischen Arbeit' und bekam das Ehrenbanner des Zentralkomitees verliehen."
Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof an der Friedhofstraße in Zehdenick. In der Mitte ist das Emblem der FIR zu sehen, der "Fédération Internationale des Résistants" (internationale Dachorganisation von Verbänden antifaschistischer Widerstandskämpfer)