Geschäfte

aus: Manfred Lentz, unter Mitwirkung von Siegfried Haase und Birgit Halle, "Die Russen als Nachbarn. Vom Leben in den Dörfern am

Flugplatz Groß Dölln 1945-1994", 2022 (Die Buschdorf-Bücher, Band 1, Kapitel 6)

Wer mehr lesen will: Exemplare des Buches sind erhältlich in Zehdenick in der Klosterscheune und der Tourist-Info, in Templin in der Buchhandlung Karger am Markt sowie über info@kurtschlag.de

 

Waren die menschlichen Kontakte zwischen den Anwohnern des Flugplatzes und den Russen also gering, so waren die wirtschaftlichen um so intensiver. Eine Tatsache, die sich fest in die Erinnerung der Dorfbewohner eingebrannt hat. Jeder der von uns Angesprochenen hat darüber berichtet, und zwar ohne dass es eines Stichworts von unserer Seite bedurft hätte. Und oft auch mit einem spitzbübischen Lächeln, gehörten hierzu doch auch solche Aktivitäten, mittels derer man den eigenen Staat ausgetrickst hatte. Oder genauer: die Planwirtschaft dieses Staates, die Tag für Tag ihre Schwächen offenbarte. Irgendetwas, wonach man suchte, war immer nicht verfügbar, und dann halfen in vielen Fällen die russischen Nachbarn aus. Häufig legal, und wenn das nicht zum Ziel führte, dann notfalls auch illegal.

 

Legal - das waren die „Russenmagazine“. Verkaufseinrichtungen, die es in der DDR teils außerhalb von Militärobjekten gab, teils innerhalb, so wie das bei unserem Flugplatz der Fall war. Die eigentliche Aufgabe der Magazine war die Versorgung der Soldaten. Für diesen Zweck existierten mehrere Gebäude, in denen unter anderem Textilien und Schuhe, Baumaterial und Spielwaren angeboten wurden, außerdem gab es eine Kaufhalle mit Lebensmitteln, darunter mit Obst. Da die Belieferung dieser Einrichtungen in der Regel reibungslos verlief, verfügten sie über ein Angebot, das außerhalb des Flugplatzes oftmals nur schwer oder gar nicht erhältlich war. Zusätzlich gab es Produkte aus dem NSW, dem „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“, wozu auch die Bundesrepublik und West-Berlin gehörten. Unter den Bedingungen der DDR waren „Russenmagazine“ damit geradezu Einkaufsparadiese, und das nicht nur für Privilegierte. Auch der „normalen“ Bevölkerung standen sie offen, was indes nicht bedeutet, dass jeder dort seine Einkäufe getätigt hätte. Viele Bürger machten aus unterschiedlichen Gründen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Ihr Grund, so erzählten uns einige Gesprächspartner, sei ein „diffuses Unbehagen“ gewesen, das sie empfunden hätten. Andere nannten die Modalitäten des Zutritts: Konnten die Inhaber eines „Propusk“ (einer speziellen Genehmigung) das Flugplatzgelände durch die Schranke am Eingang betreten, so mussten die anderen durch ein Loch im Zaun steigen, der den Flugplatz umschloss. „Dort standen manchmal Soldaten“, erzählte uns einer aus eigener Erfahrung, „und kassierten Eintritt von den Leuten, die sie nicht kannten. 1 Mark war der übliche Satz.“ Auch Schnaps wechselte bei solchen Gelegenheiten mitunter den Besitzer. Das Verkaufspersonal der Magazine bestand überwiegend aus den Ehefrauen der russischen Offiziere, aber auch Frauen aus den umliegenden Dörfern waren hier zeitweise beschäftigt. Die Arbeit im „Russenmagazin“ sei lukrativ gewesen, erzählte uns eine der ehemaligen Verkäuferinnen, dort habe sie mehr Geld verdient als in den Kaufhallen der staatlichen HO.

 

„Zwei- bis dreimal pro Woche bin ich mit dem Fahrrad zum Einkaufen auf den Flugplatz gefahren“, berichtete einer, wobei ein solch häufiger Besuch vermutlich eher die Ausnahme war. Einen privilegierten Zugriff auf die Waren im Magazin hatten jene Deutschen, die dort arbeiteten. „Nach einem Betriebsunfall fing mein Mann im Russenlager als Einkäufer für das Magazin an“, erinnerte sich eine Frau aus Kurtschlag. „Dadurch war unsere Familie gut versorgt, vor allem mit Obst. Das brachte den Neid der Mitbürger mit sich.“ Neid, aber in vielen Fällen dürfte auch Dankbarkeit die Folge gewesen sein, konnte der Mann an der Quelle doch auch Dinge besorgen, nach denen die Nachbarn im Dorf etwa anlässlich von Familienfesten oder zu Feiertagen verlangten wie Champignons, Ananas in Dosen oder „Radeberger Bier“, das es „draußen“ nur selten gab und das geeignet war, die Herzen der Gäste höher schlagen zu lassen. Natürlich konnte der „Glückliche“ die Waren auch weiterverkaufen oder sie gegen Dienstleistungen eintauschen, die üblicherweise schwer zu bekommen waren. Und wie standen die Russen als die Betreiber der Magazine zu solchen Geschäften? Für sie bedeutete der Verkauf an Deutsche einen zusätzlichen Absatz und damit zusätzliches Geld, mit dem sie ihrerseits in Läden außerhalb des Flugplatzes einkaufen konnten (1). Solange Sicherheitsfragen nicht berührt waren - und an diesem Punkt verstanden die Russen keinen Spaß -, ließ man die deutschen Einkäufer auf dem russischen Militärgelände ganz einfach gewähren.

(1) Was für die Versorgung der Bevölkerung allerdings von Nachteil war: „Bei der Zuteilung der Waren an den Handel wurden die Russen nicht berücksichtigt, die aber eine erhebliche Kaufkraft repräsentierten. Einen großen Teil ihrer Einkäufe schickten sie nach Hause. Für Einheimische blieb dann oftmals nichts übrig, und die Waren mussten für sie nachbestellt werden.“ - Etwas anders scheint die Situation in dem nahe dem Flugplatz gelegenen Döllner Landkaufhaus (hauptsächlich Konfektion) sowie in dem Industriewarenladen gewesen zu sein, wo die Russen einem Dorfbewohner zufolge „eine starke Konsumentenschicht“ darstellten. Was dazu führte, dass diese Einrichtungen besser beliefert wurden als andere und manche Produkte damit auch für DDR-Bürger leichter erhältlich waren. 

 

Für die DDR-Führung war die Konsumalternative ihrer Bürger eine zweischneidige Angelegenheit. Trugen die Einkaufsmöglichkeiten in den Magazinen zwar einerseits zu einer besseren Bedarfsdeckung bei und entzogen damit dem verbreiteten Klagen über Versorgungsmängel wenigstens teilweise den Boden, so waren sie gleichzeitig geeignet, die Stimmung innerhalb eines Teils der Bevölkerung zu belasten. Wie die Intershops und die Delikat- und Exquisitläden förderten auch die „Russenmagazine“ im Bereich des Konsums eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: die einen, die von diesen Einrichtungen profitierten, die anderen, bei denen das nicht der Fall war. Im Jahr 1982 beschäftigte sich das SED-Politbüro mit diesem Thema und kam zu dem Entschluss, den bestehenden Zustand beizubehalten. Eine wohl unvermeidbare Entscheidung angesichts der Probleme, die das ineffiziente Wirtschaftssystem ständig begleiteten. (Eine Rolle bei dieser Entscheidung dürfte auch der Umstand gespielt haben, dass man das Interesse der Russen an dem Erhalt ihrer lukrativen Einkaufsquelle nicht einfach ignorieren konnte.)

 

Zu den legalen wirtschaftlichen Beziehungen gehörten auch solche, bei denen Russen die Dienste von Deutschen außerhalb des Flugplatzes in Anspruch nahmen. So erzählte uns beispielsweise Helmut Suter (Autor u.a. des Buches „Honeckers letzter Hirsch“), dass die Russen vom Flugplatz längere Zeit Schweine, die sie für die Verpflegung ihrer Soldaten hielten, von seinem Vater hätten schlachten lassen, der in Groß Schönebeck eine Fleischerei besaß. Der Döllner Schuster Knoll wiederum reparierte für die Russen Militärstiefel und auch ziviles Schuhwerk („In seiner Werkstatt standen oder hingen fast immer ein paar russische Knobelbecher.“) Ebenfalls in diese Kategorie gehören z.B. die Behandlung von russischen Kindern durch einen Kinderarzt in Groß Dölln oder die Besuche von Russen bei Friseuren in den umliegenden Dörfern.

 

 

Neben diesen legalen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bevölkerung und den Russen gab es zur gleichen Zeit auch immer verschiedene Spielarten von illegalen Beziehungen. Das waren vor allem solche Geschäfte, bei denen die Russen den Deutschen etwas verkauften, was ihnen selbst gar nicht gehörte. Kohlen zum Beispiel: „Spätabends fuhren sie mit einem LKW auf unseren Hof, mehrere ‚Muschkoten‘ und ein Offizier. So schnell wie möglich haben sie die Kohlen ausgeladen, und anschließend sind sie gleich wieder weggefahren. Die Kohlen waren von guter Qualität, nicht der Dreck, den wir üblicherweise bekommen haben. Offiziell kosteten sie 200 Mark, die Russen haben sie uns für den halben Preis gelassen.“ Verbreitet war auch der Handel mit Benzin. Mussten seinerzeit an der Tankstelle 1,50 Mark für einen Liter bezahlt werden, so hatte ein Kurtschläger eine Bezugsquelle für den halben Preis aufgetan: „Das Benzin kam aus dem Treibstofflager der Russen links der Straße von Kurtschlag nach Zehdenick. Ich hatte ein Depot im Wald angelegt, dorthin lieferten mir die Russen 200-l-Fässer. Ich habe das Benzin abgeholt und das Geld hinterlegt. Brauchte ich mehr, war das kein Problem.“ Gelegentlich erfolgte die Lieferung von Benzin aber auch auf kurzem Weg: „Die Russen saugten mit Hilfe eines Schlauchs das Benzin mit dem Mund aus einem Fass an und füllten es in die Tanks unserer Autos.“ Waren diese Diebstähle für die interne russische Treibstoffversorgung schon als solche ein Problem, so wurde die Sache noch verschlimmert, wenn die Diebe die aus den Fässern entnommene Menge durch Wasser oder Steine ersetzten.

 

Gehandelt wurden von den Russen aber nicht nur Kohlen und Benzin, sondern auch andere Dinge, wobei wohl längst nicht in allen Fällen klar war, woher sie stammten. Uhren gehörten dazu und Radios („‚Alpinist‘ war der Renner“), aber selbst russische Bootsmotoren oder Mopeds wechselten gelegentlich den Besitzer. „Seine russischen Freunde belieferten ihn mit größeren Mengen Zigaretten der Marke ‚Dakota‘, die er im Bekanntenkreis weiterverkaufte“, erzählte uns ein Döllner über einen anderen. Selbst Tiere waren im Angebot: „M. hat des öfteren Ferkel für seine kleine Schweinemast bei den Russen gekauft, wie auch andere in Groß Dölln und Groß Väter.“ (1) Geschäfte, die auch mal schief gehen konnten. So wird von einem Fall berichtet, bei dem sich Verkäufer und Käufer um das Geld stritten, worauf der eine den anderen denunzierte. „Am nächsten Tag stand die Kriminalpolizei vor der Tür, und sowohl das Geld als auch die Ferkel waren verloren. Wer aber nun angenommen hätte, die Polizei wäre gegen solche Geschäfte ganz allgemein eingeschritten, der irrt sich. Einzig die Ermahnung, bei solchen Gelegenheiten nicht Militärgelände zu betreten, erhielten die Käufer. Aus welcher Quelle die Tiere stammten und dass das ganze Geschäft illegal war, interessierte die Polizei nicht.“ Entsprechend lief der Handel nach solchen Ermahnungen denn auch jedes Mal weiter.

(1) Angaben eines Döllners zufolge wurden auf dem Flugplatzgelände auch Kühe gehalten.

 

 

Doch nicht allein materielle Güter waren Gegenstand von illegalen Geschäften, die Palette der einschlägigen Aktivitäten war breiter. So wurde uns folgende Begebenheit berichtet: Ende der 1980er Jahre wollte ein Döllner ein Haus bauen, und dazu brauchte er Holz. Vom kurz zuvor erfolgten Ausbau des Flugplatzes waren Kiefern vorhanden, von denen er welche bekommen konnte. Ein Sägewerk hatte sich auch schon bereit erklärt, für ihn zu arbeiten, allerdings sollte er die nötige Arbeitskraft stellen. „Da erinnerte sich der Döllner an seine russischen Freunde aus der Gaststätte in Groß Väter, die immer wieder Hilfe angeboten hatten. Sie vermittelten ein Treffen mit höheren Offizieren, die ihm zwei Soldaten für 25 Mark pro Tag zuwiesen, zuzüglich Verpflegung und Transport zum Sägewerk und zurück. Morgens um 4 Uhr holte M. die beiden dann immer ab. Als sie eines Morgens nicht am Haupteingang standen, löste der Wachhabende sogar Alarm aus. Da die beiden Soldaten von dem Döllner regelmäßig auch Schnaps bekommen hatten, war dies wohl der Grund für ihr Verschlafen gewesen. Am Abend musste der Döllner den schlimmsten Ärger für sie glätten.“ Trotz dieser Panne schließt der Bericht mit den Worten: „Diese Woche hat allen geholfen.“

 

Wollte man streng sein, so könnte man zumindest einen Teil dieser Geschäfte als wirtschaftskriminelle Handlungen bezeichnen. Die Beteiligten sprachen wohlwollender von „Bagatellen“, und entsprechend gelangten solche Vorfälle nur selten zur Anzeige. (Auch deshalb nicht, weil in der Regel beide Beteiligte Nutznießer solcher Geschäfte waren, wer hätte also wen anzeigen sollen?) Und da in vielen Fällen auch die Vorgesetzten vom Flugplatz nicht leer ausgingen und so mancher Offizier sich auf diese Weise ein Zubrot verdiente, waren die illegalen Aktivitäten zumeist ohne Risiko. Erst recht galt das, wenn nicht nur eine Privatperson davon profitierte. So gibt es einen Bericht aus einem anderen Teil der DDR: eine LPG, die wegen unzureichender Benzinlieferungen in Schwierigkeiten bei der Planerfüllung geraten war und sich deshalb kurzerhand das fehlende Benzin im Austausch gegen Schweine beim russischen Militär besorgte. Auch Metalle gab es bei den Russen zu holen, die in der DDR-Wirtschaft an vielen Stellen dringend gebraucht wurden, aber nur schwer zu bekommen waren, weshalb entsprechend dem Gesetz von Angebot und Nachfrage ein Angebot entstanden war: In Groß Dölln hatte sich jemand auf die „Vermarktung“ von Buntmetallen und Akkus spezialisiert (besonders begehrt waren Kupfer, Blei und Aluminium), die die Russen als Abfälle auf dem Flugplatz aussortiert hatten. Immer wieder besorgte er sich solche Abfälle direkt vom Flugplatzgelände, meist im Austausch gegen Alkohol und erotische Magazine. Wurde er bei seinen Aktivitäten erwischt, hatte er allenfalls mit einem Verweis zu rechnen. Ja, es gab sogar Fälle, in denen die Posten ihn zuerst wegschickten und ihm anschließend selbst die Metalle - mit entsprechender Gegenleistung - bis an den Zaun brachten. Dass Geschäfte der geschilderten Art die Beteiligten gelegentlich auch ernsthaft in Schwierigkeiten bringen konnten, erwähnte einer unserer Gesprächspartner. Bedauerlicherweise konnte er sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern, nur daran, dass mehrere Personen Schwierigkeiten dieser Art zum Anlass genommen hatten, die DDR (vor dem Mauerbau 1961) durch Flucht zu verlassen. Schlecht erging es einem Döllner, der bei einem illegalen Geschäft von einem Offizier überrascht wurde. Dieser führte ihn in einen Schuppen, ließ ihn sich auf den Boden legen und deckte ihn mit einer Plane zu. Voller Angst und in Ungewissheit über sein weiteres Schicksal lag der Döllner längere Zeit da, bis der Offizier irgendwann verschwunden war und er nach Hause zurückkehren konnte - von wo aus er trotz dieser Erfahrung seine Aktivitäten fortsetzte. Zu wirklich gravierenden Bestrafungen wegen der Beteiligung an illegalen Geschäften scheint es nur in Ausnahmefällen gekommen zu sein. So im Fall eines nach Groß Dölln Zugezogenen, der auf dem Flugplatz als Heizer gearbeitet und nebenbei mit Russenbenzin gehandelt hatte. Als man unter seinem Misthaufen verborgene Fässer entdeckte, landete er im Gefängnis. Vielleicht weil er als Zugezogener Einheimische in ihren Geschäften gestört hatte?

 

Eine Ware, die sowohl bei den legalen als auch bei den illegalen Transaktionen eine wichtige Rolle spielte, war Alkohol. Nahezu in jedem Gespräch, das wir mit Zeitzeugen führten, wurde das Thema „Russen und Alkohol“ angesprochen. Fast alle Russen tranken, so hat es den Anschein, vom gerade eingetroffenen Rekruten (vorausgesetzt, er konnte sich etwas besorgen) über die Offiziere bis zu den höchsten Rängen. Zu den allgemeinen Gründen für den Konsum von Alkohol kamen spezifische hinzu, die sich aus der besonderen Lage auf dem Flugplatz ergaben: die - abgesehen vom Dienst - weitgehende Ereignislosigkeit, die kulturelle Ödnis und bei den unteren Dienstgraden oft auch die Verzweiflung als Folge der teils grausamen Behandlung im Rahmen der „Dedowschtschina“. Wege, an das Objekt der Begierde zu gelangen, gab es verschiedene. Der legale Kauf von Alkohol im Magazin war der einfachste und leicht zu realisieren für diejenigen, die die Erlaubnis und das nötige Geld dafür hatten. Schwieriger war es für alle übrigen, doch erwiesen diese sich als äußerst erfindungsreich und fanden immer wieder Wege, an das Gewünschte zu kommen. Einer dieser Wege waren illegale Geschäfte wie der Verkauf von Benzin, von Kohlen oder anderen Dingen. Auch der erwähnte „Wegezoll“ beim Durchschlupf durch den Flugplatzzaun brachte Geld, ebenso führte mitunter ein Naturaltausch zum Ziel wie in dem im letzten Kapitel angeführten Beispiel vom Tausch einer warmen Jacke gegen eine Flasche Schnaps. Waren dem nach Alkohol Dürstenden all diese Möglichkeiten verwehrt, so blieb nur noch das Stehlen, und entsprechend wissen viele Anwohner des Flugplatzes von solchen Vorfällen zu berichten. Im nahegelegenen Bebersee etwa, wo ein Teil der insgesamt nur wenigen Häuser nicht ständig bewohnt und das Einbrechen dementsprechend nicht allzu schwierig war. Das einzige Problem für einen Einbrecher: Er durfte sich nicht erwischen lassen. Passierte das doch, so entschieden allein die Russen über eine mögliche Bestrafung. - Ein weit drastischerer Fall im Zusammenhang mit Alkohol wurde uns aus Groß Dölln berichtet: Zwei bereits angetrunkene Soldaten, die als Regulierer auf der Kreuzung bei der Kirche eingesetzt waren, hatten ihren Posten verlassen und waren in den Konsumladen gegangen, hatten unter den Augen mehrerer Kunden die Verkäuferinnen mit ihren Waffen bedroht und die Herausgabe von Alkohol verlangt. Ihr Pech war, dass ein Offizier den Zwischenfall beobachtet hatte und Militär vom Flugplatz herbeirief. Vor den Augen der Döllner - darunter Kinder - wurden die beiden Soldaten zusammengeschlagen, auf einen LKW geworfen und abtransportiert. Wegen des Einsatzes von Waffen dürfte die Strafe in diesem Fall hart ausgefallen sein, aber wie üblich wurden auch diesmal keine Einzelheiten bekannt. Ganz anders die folgende Begebenheit: Ein Elektriker aus Groß Dölln brachte Hefe in das Militärlager nach Vogelsang, die dort für das Brotbacken gebraucht wurde. Die beteiligten Russen indes nutzten die Hefe nicht für Brot, sondern für die Herstellung von Alkohol. Der Verzehr dieses Alkohols lief aus dem Ruder, und das so sehr, dass Hinzukommende, die das Gelage unterbinden wollten, schließlich sogar Warnschüsse in die Decke abgaben. Den Elektriker kostete es anschließend einige Mühe, wieder „gute Stimmung“ bei den Russen zu machen.

 

Wenn es um die wirtschaftlichen Kontakte zwischen den Russen und den Anwohnern des Flugplatzes geht, darf die „sozialistische Hilfe“ nicht fehlen. Für die Menschen in den Dörfern war der Einsatz von russischem Militärpersonal für nichtmilitärische Aufgaben ein gewohnter Anblick, wobei das nicht nur für die Umgebung des Flugplatzes galt, sondern für die gesamte DDR. Ja, mehr noch: Auch in der Heimat der Soldaten ging ein großer Teil ihrer Dienstzeit für nichtmilitärische Aufgaben drauf. Dort, so schreibt Silke Satjukow, „leistete jeder vierte Soldat und Unteroffizier seinen Armeedienst auf Baustellen oder Feldern ab. Bis zu einem Viertel der Mannschaften beschäftigten sich dort statt mit Gefechtsübungen mit Räumungs-, Bau- und Reinigungsaufgaben; Abwesenheitsquoten von bis zu zwanzig Prozent bestimmten die Ausbildung.“ Natürlich hätte man den Einsatz dieser Männer auch zutreffend als das Schließen von Lücken bezeichnen können, weil die regulären Arbeitskräfte zur Erfüllung ihrer vom Plan vorgegebenen Aufgaben nicht in der Lage waren. Womit die Männer nichts anderes als ein Notbefehl waren, ein kostenloser noch dazu, doch hätte das Wort „Notbehelf“ keinen guten Klang gehabt, weshalb man den Begriff der „sozialistischen Hilfe“ geprägt hat. Bereits seit 1945 waren solche Sondereinsätze des russischen Militärs unter anderem in der Industrie und der Landwirtschaft der DDR an der Tagesordnung, und jedes Mal wurden sie der Bevölkerung propagandistisch als selbstlose Bruderhilfe verkauft. So etwa die Ernteeinsätze im Herbst, von der uns Dorfbewohner berichteten, darunter das „Kartoffelstoppeln“ oder das gemeinsame Pflanzen von Bäumen. Aus seiner Zeit als Mitarbeiter der LPG in Groß Schönebeck berichtete uns ein Döllner, wie die LPG als Gegenleistung für den Einsatz russischer Soldaten bei der Ernte für sie Rote Bete angebaut hat. Wiederkehrende Wintereinsätze der Russen gab es, weil die zuständigen DDR-Betriebe mit Räumgerät unzureichend ausgerüstet waren. Allerdings muss der Einsatz in dem extrem schneereichen Winter 1978/79 durchaus als eine echte Hilfe verstanden werden, da die DDR selbst bei einer besseren Ausstattung die damaligen gravierenden Probleme kaum allein hätte schultern können. Nur durch den Einsatz des russischen Militärs gelang es damals, den völligen Zusammenbruch der Wirtschaft und des Verkehrs zu verhindern. (Ein wenig dazu beigetragen haben dürften allerdings auch jene 500 Bohrhämmer, die die DDR für ihre Braunkohletagebaue beim westdeutschen „Otto-Versand“ bestellt hat - eine Information, die mir beim Bearbeiten des Themas zufällig in die Hände fiel und bei der ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.) Auch an diverse Brände erinnerten sich die von uns Befragten, bei denen Russen sich an den Löscharbeiten beteiligten, so unter anderem bei einem Hausbrand in Bebersee, beim Brand des Saals der Döllner Gaststätte und immer mal wieder bei Waldbränden (darunter solchen, die die Russen durch einen fahrlässigen Umgang mit Feuer überhaupt erst verursacht hatten).

 

Abschließend zu diesem Kapitel noch zwei Fälle, die von unseren Gesprächspartnern unter dem Stichwort „wirtschaftliche Kontakte“ genannt wurden. Da war zum einen in den 1960er Jahren jener russische LKW, der vor der Kurtschläger Kirche hielt und von dem Waren verschiedener Art an die Dorfbewohner verkauft wurden, darunter Mangelwaren und Obst. („Bananen gab es sonst oft nur ein Stück pro Person. Hier konnte man gleich mehrere kaufen.“) Der zweite Fall war die Erinnerung einer Zeugin, „dass donnerstags ein sogenannter ‚Russenbus‘ von Groß Väter über Kurtschlag nach Zehdenick fuhr, der auch von der Bevölkerung genutzt werden durfte. Ich bin auch mit diesem Bus gefahren und kann mich noch gut an den Geruch von Knoblauch und schwerem Parfüm der russischen Frauen erinnern. Es muss um 1970 gewesen sein. Wie lange diese Buslinie bestand, weiß ich nicht. Ich finde aber, das ist ein gutes Beispiel für das damalige Miteinander.“