Der Name "Kurtschlag"

Manfred Lentz

Kürzlich hat mich mal wieder jemand gefragt, wo ich wohne. "In Kurtschlag", habe ich geantwortet. "In wo?", kam die Rückfrage. "In Kurtschlag", habe ich wiederholt, und damit er es kapiert: "Kurt wie Kurt und schlag wie schlagen." Worauf er grinste. "Schlagen? Dann sind die Leute in deinem Dorf alle Schläger?" Haha, der alte Witz, den jeder bei uns bestimmt schon hundert Mal gehört hat. "Nein", habe ich ausgeholt, "wir sind keine Schläger, und das 'schlag' in 'Kurtschlag' hat ja auch nicht ..." ... mit schlagen zu tun, wollte ich sagen. Doch ich habe verzichtet, weil mein Gegenüber nicht den Eindruck erweckte, als würde ihn das sonderlich interessieren. Am Abend ist mir die Geschichte dann wieder eingefallen. Und ich habe überlegt, was ich ihm über die Herkunft des Namens gesagt hätte, falls er interessiert gewesen wäre. In der Vergangenheit hatte ich

schon mehrmals Erklärungsversuche gehört, unter anderem von den Verfassern unserer Dorfchronik. Aber so ganz genau konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, also habe ich nachgeschaut. Wozu ich nicht einmal aufstehen und die Chronik suchen musste, schließlich haben wir sie hier auf kurtschlag.de eingestellt. "In dieser Zeit um 1900", steht dort geschrieben, "wird in unserer Dorfflur am 'Kurzen Schlag' oder auch 'Curthschen Schlag' eine Pottaschesiederei erwähnt. Pottasche, aus Holzasche gewonnen, benötigte man unter anderem zur Glasherstellung, die damals in Dölln und in anderen Gegenden der Heide betrieben wurde. Der Curthsche Schlag - so berichtet der Volksmund - war ein Grenzschlagbaum zwischen hohenzollerschem und uckermärkischem Landadelsbesitz, den lange Jahre ein Zöllner namens Curth zu bewachen hatte. Wer des Weges kam, auch der Kurfürst und der König, rief 'Curth, mach den Schlag auf!' So soll der Platz seinen Namen erhalten haben. Geschichtlich belegt ist das aber nicht."

 

Nein, geschichtlich belegt ist diese Geschichte in der Tat nicht. Was daran liegt, dass sie sich nicht belegen lässt, weil sie sich zwar nett anhört, aber falsch ist. Was aber, so wollte ich wissen, ist die korrekte Herleitung des Namens, weshalb ich das machte, was ich in vergleichbaren Fällen immer mache: Ich ging ins Internet. Und bin dort in Nullkommanix auch fündig geworden. Dabei habe ich als erstes festgestellt, dass unser Name gar nicht so einzigartig ist, wie man vielleicht annehmen könnte. Womit ich nicht den ersten Teil meine, den "Kurt", sondern den zweiten, den "schlag". Sage und schreibt 56 Ortsnamen gibt es in Deutschland, in denen dieses Wort enthalten ist, oft am Anfang wie bei Schlagsdorf und Schlagenthin in Brandenburg (den letzten Namen tragen gleich zwei Orte), bei Schlaga in Thüringen, Schlageten in Baden-Württemberg oder bei anderen. Aber es gibt auch etliche Orte mit "schlag" am Schluss, unsere "Brüderorte", oder wie immer man sie nennen will. Und weil es nichts schaden kann, seine Brüder zu kennen, liste ich sie einfach mal auf: Die Reihe reicht von Owschlag in Schleswig-Holstein, Zuschlag und Uschlag in Niedersachsen und Buchschlag in Hessen, Erfenschlag und Niederschlag in Sachsen bis zu dem thüringischen Biberschlag, dem baden-württembergischen Holzschlag (ebenfalls zwei Mal vertreten), dem nordrhein-westfälischen Anschlag und schließlich den bayerischen "Schlägen", die ganz besonders häufig vertreten sind: mit Heindlschlag und Wolfertschlag, Draxlschlag, Grünschlag und Mühlschlag, dazu Kühlschlag, Adelschlag, Etterschlag und last but not least Hufschlag. Spätestens diese Auflistung führt die Vorstellung von den Schlägern in Kurtschlag ad absurdum, denn so viele Orte voller Schläger sind wohl doch eher unwahrscheinlich. 

In der "Deutschen Namenskunde" eines gewissen Adoph Bach findet sich zu dem Wort "Schlag" die Erklärung, dass es sich um eine "durch Holzfällen gelichtete, urbar gemachte Waldstelle" handelt. Oder wie man es auf einer anderen Webseite lesen kann: "Zu mittelhochdeutsch slac, slag - 'Schlag, die durch einen Schlag versehrte Stelle', auch 'zum Holzschlag bestimmte oder durch Holzschlag gerodete Stelle eines Waldes'." Roden ist also das Stichwort. Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, dass unsere Gegend ebenso wie ganz Deutschland vor Jahrhunderten völlig anders aussah als heute, dass sich zwischen vielen kleinen und wenigen großen Siedlungen endlose Wälder erstreckten, in die Menschen erst nach und nach immer weiter vorgedrungen waren. Was im Fall von Kurtschlag erst im 18. Jahrhundert geschah, allerdings schon einige Jahre, bevor unser Dorf gegründet wurde. Zunächst befand sich an dieser Stelle eine Pottaschesiederei, die - wie in der Dorfchronik erwähnt - den Rohstoff für verschiedene Glashütten in der Umgebung lieferte. Durch amtliche Verfügung entstand an ihrer Stelle im Jahr 1720 ein Vorwerk der Domäne Zehdenick, d.h. ein landwirtschaftlicher Gutshof. 13 Jahre später taucht unser Dorfname dann das erste Mal in einem Dokument auf, auf dem von einer "Kurtschlagischen Schleuse" die Rede ist. Weitere drei Jahre später, also 1736, findet sich in einem anderen Dokument erstmalig die Bezeichnung "Curthschlag". Der Name bestand also schon zu der Zeit, als aus dem Vorwerk im Jahr 1749 unser heutiges Dorf gegründet wurde. Das heißt die Rodungen, auf die das Wort "schlag" Bezug nimmt, haben bereits in der Zeit des Vorwerks stattgefunden. Nicht alle natürlich, denn mit der Dorfgründung der dokumentarisch überlieferten 13 Siedler aus der Pfalz vergrößerte sich die Zahl der Menschen, die hier lebten und damit auch die Fläche, die für ihr Wohnen und ihre Ernährung gebraucht wurde. Also musste weiter kräftig gerodet werden. Was das für unsere Vorfahren bedeutete, kann man sich auch heute noch leicht vor Augen führen, wenn man bei einem Spaziergang im Wald einfach mal anhält und überlegt: Genau hier an dieser Stelle will ich mir ein Haus bauen und Äcker und außerdem noch einen Garten anlegen.

 

Den Wortteil "schlag" haben wir nun also geklärt, bleibt die Frage, was es mit dem ersten Teil auf sich hat, also dem "Kurt". In unserer Dorfchronik ist von einem "Kurzen Schlag" die Rede, und "kurz" scheint in diesemFall tatsächlich die Wortbedeutung von "Kurt" zu sein. Es handelt sich um das (alt)brandenburgische Wort "kort", was soviel wie "kurz, von geringer Länge" bedeutet. Namensgebend war also kein Mann namens Kurt, natürlich erst recht nicht irgendein Zöllner mit diesem Namen, der an irgendeinem Schlagbaum seinen Dienst tat. "Kurt" und "schlag" zusammen waren also ein "kurzer Schlag", d.h. eine nicht sehr große gerodete Fläche, und genau von der leitet sich unser Dorfname ab.  Wie eng die Verbindung von "roden" und "schlag" sein kann, dafür ist das österreichische Mühl- und Waldviertel ein interessanter Beleg. Ein noch heute sehr waldreiches Gebiet, in dem durch Freischlagen in früheren Zeiten beeindruckende 151 Ortschaften mit "schlag"-Namen entstanden sind. Auch in die Familiennamen hat das Wort im übrigen Eingang gefunden, insgesamt 69 gibt es mit diesem Wortende, von Aschlag, Anschlag und Aufschlag bis zu Wollschlag und Zuschlag. Namen, die noch heute darauf hinweisen, von wo die Vorfahren dieser Familien einst kamen. Der Name "Kurtschlager" (oder auch "Kurtschläger") findet sich allerdings nicht darunter, und ein "Herr Kurtschlag" oder eine "Frau Kurtschlag" ist mir denn auch noch nie zu Ohren gekommen. Was eigentlich schade ist, wie ich finde!