Der Wilddieb und die Klingelmarie

Ein kleines Dorfschauspiel nach einer Sage,

nacherzählt und weiter gesponnen von Petra Elsner

 

 

Erzählerin: In dem eingeschneiten Buschdorf hinter den Rabenbergen gähnt an diesem Januartag Konrads Speisekammer vor Leere. Nur Blaubeer-Mus gibt es noch darin, aber keinen Speck und kein Korn. Im Winter wohnt der Hunger in den meisten Katen der Schorfheide. Aus dieser Not heraus werden viele zu Holzdieben oder Wilderern, auch Konrad. Er hat es lange hinausgeschoben, aber diese Nacht muss er in den Wald aufbrechen, um ein Stück Wild zu erlegen. Leidenschaftslos und heimlich, versteht sich, aber nicht allein. Er fürchtet sich in dem Dunkel unter den Bäumen. Doch sein alter Jagdkumpel war ihm gerade weggestorben. So schlürft er über den Damm zum Schnitter Hannes. Der war letzten Sommer wegen einer Frau hier geblieben. Doch die hatte ihn nicht lange gewärmt und war mit einem Schiffer aus Zehdenick auf und davon. Hannes fegt gerade Schnee vor dem windschiefen Schnitterkaten.

 

Konrad flüstert ihm zu: „Ist in deiner Kammer auch Ebbe?“

 

Hannes nickt: „Leider.“

 

Konrad: „Dann lass uns heute Nacht zusammen jagen gehen. Einen Teil der Beute tauschen wir gegen Silber und Mehl. Der Rest wird zu Brühe und Dauerwurst.“

 

Hannes Augen funkeln und er lenkt sofort ein: „Oh, danke, dass du mir vertraust. Aber lass uns weit vom Dorf entfernt die Büchsen anlegen, damit der Förster nicht unsere Spuren liest, und uns auf die Schliche kommt. Draußen, am Punskuhl, da steht immer was im Mondlicht.“

 

Konrad schüttelt den Kopf: „Bist du lebensmüde? Dort ist es nicht geheuer!“

 

Hannes brummt: „Was soll da schon sein, der Sumpf ist zugefroren?“

 

Erregt erwidert Konrad„Dort geht die Klingelmarie um, ganz gleich welches Wetter und welche Jahreszeit.“

 

Hannes: „Was für eine Klingelmarie?“

 

Und Konrad berichtet dem Zugezogenen: „Seit Ewigkeiten erzählt man sich in Kurtschlag und Groß Dölln die Legende von der Klingelmarie. Selbst die in den Wald gehen, um im Mondlicht einem Hirsch nachzuspüren, fürchten sich vor der spukenden Tochter des Ritters von Dölln. Der hatte einst an der Döllner Chaussee ein prächtiges Schloss mit fünfhundert goldgefassten Fenstern errichten lassen. Der große Besitz aber impfte die Ritterstochter Marie mit einem Hochmut, der nichts neben ihr atmen lies. Und so kam es, dass bei einem zornigen Gewitter Blitz und Donner in das Schloss fuhren, und mit ihm alles was darin war tief in die Erde schlug. Dort, wo es stand,  moderte fortan nur noch ein Sumpf – der Punskuhl.  Man munkelt, die Wasserrosen, die dort im Sommer so schön blühen, seien die verwunschenen Burgfräuleins und im Schilf könnte man die Knappen und selbst den Döllner Ritter erkennen. Ruhelos geistert dort nachts die Ritterstochter umher. Ihre weißen Tücher hält ein Gürtelband, an dem die Schlüssel vom Schloss bei jedem ihrer Schritte klimpern. Deshalb nennt man sie ‚Klingelmarie‘. Sie sucht nach einem reinen Jüngling, der sie von ihrer Unrast erlösen soll. Doch bisher hat sie keinen gefunden, und jeder, der ihr bisher begegnete, starb sogleich ganz bleich vor Schreck.“

 

Hannes prustet aus breiter Brust: „Aberglaube! Alles Mumpitz! Ich bin doch kein Hasenfuß. Wenn du Schiss hast, dann gehe ich halt allein in diesen Wald.“

 

Erzählerin: Konrad ärgert sich und zieht beleidigt davon. Aber Hannes bricht des Nachts allein auf. Er pirscht sich entlang des Döllnfließes Richtung Osten. Der Mond wirft ein helles Licht auf den schleichenden Mann, der unter seinem Mantel die Flinte verbirgt. Der Schnee knirscht und funkelt. Hannes ist es plötzlich, als würde er von Seelen umschwebt. Sie tuscheln ihm ihre Waldgeheimnisse zu – von Wilderei und Förstermord, vom Ritter von Dölln und seiner Tochter, von Häschern und Gejagten - ihm wird ganz mulmig dabei. Doch als er schließlich in der Niederung einen weißen Hirsch entdeckt, legt er an, vom magischen Jagdfieber getrieben. Sein Schuss hallt durch das Dunkel. Hannes trifft, doch da zerbröselt die Tiergestalt und aus ihrem Weiß erhebt sich die stolze Marie. Geisterhaft raunt sie:

 

Marie: „Huhu, Duhu! Was suchst du in diesem Wald, einen Hasen oder ein Weib, einen Hirsch oder eine Geistergestalt?“ 

 

Erzählerin: Weil der Hannes wie angewurzelt steht und sprachlos bleibt, weht die Klingelmarie in ihren weißen Nebeltüchern heran und umgarnt den Mann, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Undurchdringliche Schwaden ziehen über den Sumpf, aus dem Maries Schlüssel eine schaurige-schöne Melodie klimpert. Der junge Wilderer wird von diesem Augenblick an nie mehr gesehen.  Aber fürchtet euch nicht! Vielleicht hat ja der Schnitter Hannes die Klingelmarie endlich von ihrem Fluch erlösen können, und das Paar ist einfach im Glück entschwunden – ja, vielleicht. So ist das mit den alten Sagen und Geschichten - gewiss sind sie nicht ...

 

(Nach Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben, Berlin 1843, bearbeitet und erweitert von Petra Elsner) 

Inszenierung des Kulturvereins zum Dorffest 2014

 

Erzählerin: Sieglinde Imm

Konrad: Manfred Krause

Hannes: Eckhard Asmus

Klingelmarie: Silke Schoepski

 

Kostüme: Eigenwerk der Spieler

Fotos: Petra Elsner